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Merkels echte Vertrauensfrage sensationell klar beantwortet

Die wiedergewählte Fraktionschefin kann verhandeln - nur dreimal Nein

Von Ulrich Scharlack
Berlin (dpa). Dieses Rekordergebnis für die Kanzlerkandidatin war auch ein deutlicher Wink an Gerhard Schröder.

Als CSU-Landesgruppenchef Michael Glos das Resultat von 98,6 Prozent für Angela Merkel bekannt gab, erhoben sich gestern die Parlamentarier der neuen Unions-Fraktion und applaudierten. Es schien, als wollten die Abgeordneten mit ihrem Beifall für die neue und alte Chefin zusätzlich unterstreichen, dass sie nicht gewillt sind, im Poker um die Macht dem Kanzler klein beizugeben.
Das erste Mal seit dem Wahlschock für die Union zeigte sich Merkel im Anschluss ein wenig gelöst. Sie hatte in der Fraktion praktisch die Vertrauensfrage gestellt, als sie am Montag überraschend ihre Wiederwahl als Fraktionsvorsitzende auf die Tagesordnung gesetzt hatte. Das Resultat konnte sie selbst schlecht abschätzen, nachdem das Ergebnis für die Union bei der Bundestagswahl so schlecht ausgefallen war.
Das Wagnis hat sich gelohnt. Eindeutiger hätte die Abstimmung nicht ausfallen können. Mehr Stimmen hat sie in der Fraktion nie erhalten. Ihr letzter Satz in ihrem Statement lautete: »Der heutige Tag war ein guter Tag für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion.« Und sicherlich verschaffte sich Merkel auch etwas Luft.
Die Enttäuschung war ihr seit Sonntagabend ins Gesicht geschrieben. Offene Kritik an ihr hatte es zwar nicht gegeben. Grund war aber eher, dass alle - auch die mächtigen Ministerpräsidenten - zu einem kleinen Teil Mitschuld an der Niederlage tragen. Überall im Lande waren die Unions-Ergebnisse unter den Erwartungen geblieben. Das nun glänzende Wahlresultat für Merkel ändert nichts daran, dass die CDU-Chefin in den nächsten Tagen die größte Herausforderung zu bestehen hat. Sie weiß, dass sie nur noch diese Chance besitzt, Kanzlerin zu werden. Scheitert sie bei den Gesprächen für eine neue Regierung, wäre sie weg aus der ersten Reihe der Politik.
»Das Ergebnis unterstreicht, dass wir als stärkste Fraktion den Anspruch haben, die Regierungsbildung auch zu übernehmen«, sagte Merkel. »Wir stehen vor einer komplizierten, aber lösbaren Aufgabe.« Dafür wird sie in den nächsten Tagen erst einmal den engen Schulterschluss mit der FDP suchen. Ihr Freund, der Liberalen-Chef Guido Westerwelle, hat ihr schon angeboten, eine Koalitionsvereinbarung zu treffen. Das Papier soll den gemeinsamen Willen zur Übernahme der Regierung noch einmal manifestieren.
Doch die Grünen, die beide für eine Koalition benötigen, würde es wohl wenig beeindrucken. Selbst die Grünen-Politikerin, zu der Merkel die besten Drähte hat, zeigte sich skeptisch. Die Parteien seien für eine »Jamaika«-Koalition nun »wirklich sehr weit auseinander«, sagte Katrin Göring-Eckardt. Als ermutigendes Zeichen wurde in der Union die Nachricht gewertet, dass Grünen-Alphatier Joschka Fischer nicht in die Fraktionsführung will. Das könnte die Gespräche erleichtern, mutmaßten einige Unions-Abgeordnete.
Bleibt aber immer noch die große Koalition. SPD-Chef Franz Müntefering hat erklärt, dass die Sozialdemokraten Merkel nie als Kanzlerin akzeptieren würden. So einfach will die Unions-Fraktion dies aber nicht hinnehmen, wie das Resultat für Merkel zeigt. Vorführen lassen wollen sich die CDU/CSU-Abgeordneten nicht.

Artikel vom 21.09.2005