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Hamburg erhofft Lückenschluss

Im Gipfeltreffen gegen Bayern drückt die Liga den »Dollies« die Daumen

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Hamburg (WB). Manchmal können auch die Gegner kaum fassen, was abgeht beim Hamburger SV. Der Letzte, der es nicht mehr glauben wollte, war der Stuttgarter Andreas Hinkel. Der Siegtreffer von David Jarolim hatte den Nationalspieler der Schwaben überwältigt.

»Das war doch ein vogelwildes Ding«, sagte Hinkel nach dem Glücksschuss des tschechischen Profi-Kollegen, mit dem Jarolim zwei Minuten vor dem Ende die Partie für Stuttgart abpfiff. So ist das eben im Augenblick mit dem HSV: Da gehen auch die Unmöglichen rein. Jarolim hatte schon nach dem 2:0 bei Arminia Bielefeld am zweiten Spieltag eine Vorahnung, wie sich das entwickeln könnte für seine Mannschaft: »Ich glaube, wir werden eine sehr gute Saison spielen.«
An diesem Spieltag drücken auch die anderen den Hamburgern die Daumen - mit Ausnahme des FC Bayern. Der muss zum Gipfeltreffen in der AOL-Arena antreten. Aktueller Kontostand: München 18 Punkte, Hamburg 14 Punkte. Die Liga mag sich gar nicht vorstellen, dass ihr Tabellenführer auch noch beim Verfolger gewinnt. Wer bitte soll denn die Bayern dann noch aufhalten, wenn dies nicht einmal mehr der Ball-Auswahl der Stunde gelingt?
Die Hanseaten sind seit 16 Pflichtaufgaben ungeputzt. Das ist eine Serie, die sich bestens dazu eignet, den Sprachschatz des Trainers einzuführen. »Es ist sehr schön zu sehen«, sagt Thomas Doll gern. Oder: »Es macht einfach Spaß, zuzuschauen.« Auch »es ist ganz, ganz toll«, hört man oft von ihm. Doll meint dann immer die Entwicklung seiner Mannschaft, die wesentlich von ihm vorangetrieben wurde. Er war von den Regionalliga-Amateuren hoch geholt worden, als die Profis unter Leitung von Klaus Toppmöller abzuschmieren drohten. Der neue Trainer vertrieb solche Sorgen schnell und verbreitete eine Einstellung im Klub, die ankam: »Wir müssen raus aus dem Mittelmaß.«
Inzwischen ist aus dem HSV wieder ein veritabler Kandidat für die Champions League geworden. In dieser Saison kann sich die Mannschaft ihre internationalen Meriten im UEFA-Cup erkämpfen, den sie auf dem langen UI-Cup-Weg erreichte. Ob der Vorsaison-Marathon noch zum Nachteil wird, schließen die Hamburger allerdings nicht aus. Denn geschwächelt haben sie schon. Nur 1:1 zu Hause gegen den FC Kopenhagen und Eintracht Frankfurt - danach präsentierten sich die »Dollies« erstmals in düster. Gewettert wurde über den randvollen Terminkalender, die Hatz von Platz zu Platz. Donnerstags Europacup, samstags Punktpartie - da bekamen die Spielplaner der UEFA gleich mal ihr Fett weg.
Übrig bleibt dem Tabellenzweiten nichts anderes, als weiterzumachen. Immer weiter. Die Bayern stehen mit Rückkehrer Michael Ballack vor der Tür, diese 90 Minuten werden richtungsweisend für die HSV-Ambitionen, dem Champion vielleicht doch schon in dieser Saison einen großen Fight zu liefern. »So ein Spiel hat Hamburg seit Jahren nicht gesehen«, sagt Vorstandschef Bernd Hoffmann. Und anschließend geht's zum Rückduell nach Dänemark, wo der Bundesligist das Aus gegen erstaunlich starke Kopenhagen-Kicker verhindern will.
Es gibt viel zu tun - sie packen es an. Auch in München richtet sich der Blick respektvoll nach Hamburg. Manager Uli Hoeneß hält den Ball für Bayern-Verhältnisse ziemlich flach: »Wenn wir beim HSV nicht verlieren, stehen wir gut da.« Redet der Rekordmeister, der seit Wochen einen Bundesliga-Dreier nach dem anderen einsammelt und letztmals am 13. März in Schalke verlor, nicht sonst nur von Siegen?
Sie haben den Rivalen aber auf ihrer Rechnung, das Süd-Nord-Gefälle ist noch zu überschaubar, um die ganz dicke Lippe zu riskieren. Immerhin können die Hamburger den fast vollständigen Lückenschluss zu den Bayern herstellen. Müde waren sie eben, in dieser Partie wohl nicht mehr. Trainer Doll weiß genau: »Für solche Spiele lebt ein Fußballer.«

Artikel vom 24.09.2005