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Gerhard Schröder

»Jede Form von Vorfestlegung ist nicht angebracht.«

Leitartikel
Keine Zeit für Eitelkeiten

Deutschland dienen
ist angesagt


Von Reinhard Brockmann
Die Deutschen hatten die Wahl, und die meisten haben sich für die Reformpolitik ausgesprochen. Der Rest ist Pflichterfüllung.
Eitelkeiten und Wundenlecken müssen jetzt ganz schnell vorbei sein, denn Deutschland kann sich weder Krawall noch Leichenbittermienen erlauben.
Immerhin hat Gerhard Schröder am Dienstag ernüchtert festgestellt, »jede Form von Vorfestlegung ist nicht angebracht.« Das hört sich schon ganz anders an als die Provokation aus der Wahlnacht, wonach er »selbstverständlich« Kanzler bleibe. Dennoch wird der Anspruch der Roten auf das weiße Haus weiter befeuert. Israel-Variante statt Jamaika lautet der Schlüsselbegriff sozialdemokratischer Traumdeutung:
Zwei Jahre »er«, zwei Jahre Stoiber, Koch oder Wulff. So streuen es die Vertrauten eines Bundeskanzlers, der mit diesem Gift zum Winkeladvokaten und zur tragischen Figur herabzusinken droht. Schlimmer noch: Alle sehen einen alternden Macho, der einer Unionsfrau nicht den kleinsten Vorsprung zubilligen will.
Hilfreicher als die hitzige Sicht auf Prozente im Sinne von Macht ist der neutrale Blick auf absolute Zahlen (ohne Dresden I). Von- 75,2 Millionen Deutschen in diesem reichen Land waren - 13,7 Millionen als Minderjährige von vornherein nicht gefragt. Dabei sind es gerade die jungen Leute, die hier und heute keine Jobs mehr bekommen, die die Schulden erben und die den Wählern von heute später und länger denn je die Rente zahlen.- 6,7 Millionen haben Protestparteien gewählt oder ihren Wahlschein mit Kommentaren zum Denkzettel gemacht.- 41,2 Millionen Deutsche haben ihre Stimme den vier zur Reform der Bundesrepublik bereiten Parteien gegeben.
Daraus folgt: CDU/CSU (16,591 Millionen Stimmen), SPD (16,148 Millionen), FDP (4,620 Millionen) und Grüne (3,826 Millionen) haben jetzt die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, das Beste für unser Gemeinwesen daraus zu machen.
Nicht weil diese Wahl 100 Millionen Euro Steuern gekostet hat, sondern weil gewählte Berufspolitiker ganz einfach ihren Dienst zu machen haben, muss auch nicht neu gewählt werden.
Die Solidargemeinschaft braucht in den kommenden zehn Jahren zusätzlich zu den vorhandenen 26 Millionen Vollarbeitsplätzen zwei Millionen, besser vier Millionen weitere sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Nur so kommt das Land wieder ins Lot.
Diese Feststellung stammt zwar von Friedrich Merz, sie könnte aber auch von Franz Müntefering, Reinhard Bütikofer oder Guido Westerwelle sein.
Nur darauf kommt jetzt es bei den Bemühungen um eine arbeitsfähige Regierung an. Schnell muss es gehen, und stabil muss es werden. Wir können uns keine weiteren Zeit- und Geldverluste mehr erlauben.
Außerdem: Angela Merkel hat die jetzt für alle Parteifarben gültige Parole bei keiner Wahlkampfrede ausgelassen: »Ich will Deutschland dienen.«

Artikel vom 22.09.2005