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Keine Frist für Kanzlerwahl

Müntefering setzt auf Dranbleiben - Grundgesetz begünstigt Stillhalten

Berlin (dpa). Unabhängig von möglichen Koalitionsverhandlungen bleibt Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bis zum Zusammentreten des neu gewählten Bundestags im Amt - mindestens.
Im SPD-Parteivorstand wurde gestern offenbar auf Zeit und Zuversicht gesetzt. Fraktionschef Müntefering wollte zunächst nicht einmal Auskunft darüber geben, ob er sich seiner Fraktion heute zur Wiederwahl stellt.
Die Verfassungslage erlaubt politisches Stillhalten. Denn sollte in der konstituierenden Sitzung kein neuer Regierungschef gewählt werden, so ist der amtierende Kanzler nach Artikel 69 Grundgesetz »auf Ersuchen des Bundespräsidenten« verpflichtet, die Amtsgeschäfte bis zur Wahl eines Nachfolgers weiterzuführen. Dieser Zustand des Übergangs könnte theoretisch Wochen oder Monate dauern. Eine Frist für die Kanzlerwahl gibt es nicht.
Sollten sich die Parteien nicht auf eine Koalition einigen können, so ist selbst eine weitere Neuwahl durchaus vorstellbar -Êwenn der Bewerber bei der Kanzlerwahl die absolute Mehrheit der Stimmen verfehlt.
Gemäß Artikel 63 Grundgesetz wird der Kanzler »auf Vorschlag des Bundespräsidenten« ohne Aussprache gewählt - wobei das Staatsoberhaupt bei seinem Vorschlag rechtlich nicht gebunden ist. Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages bekommt.
Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, kann der Bundestag innerhalb von 14 Tagen einen Bundeskanzler wählen. Nötig ist dafür wiederum die Mehrheit der Mitglieder des Parlaments. Wenn eine Wahl innerhalb dieser Frist nicht zustande kommt, muss »unverzüglich« ein neuer Wahlgang stattfinden, in dem gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält. Bekommt der Gewählte dann die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, muss ihn der Bundespräsident binnen sieben Tagen ernennen. Andernfalls gilt Artikel 63, Absatz 4: »Erreicht der Gewählte diese Mehrheit nicht, so hat der Bundespräsident binnen sieben Tagen entweder ihn zu ernennen oder den Bundestag aufzulösen.« Eine weitere Neuwahl wäre die Folge.

Artikel vom 20.09.2005