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Seit 30 Jahren ums Haus prozessiert

Geschockter Bruder (66) des Täters glaubt: »Verbrechen entsprang einem kranken Gehirn«

Von Christian Althoff
und Harald Iding (Fotos)
Höxter (WB). Als »Verbrechen, das einem kranken Hirn entsprungen ist«, hat gestern Wilfried H. (66) die Explosion bezeichnet, die sein Bruder Günther (64) am Montag in der Innenstadt von Höxter ausgelöst hatte. »Ich bin geschockt, dass er mich in seinem Abschiedsbrief für diese fürchterliche Tat verantwortlich macht«, sagte H. dem WESTFALEN-BLATT. Bei der Explosion waren neben dem Täter zwei Passanten getötet und 36 Menschen verletzt worden.

Wie berichtet, hatte Günther H. am Montag das 103 Jahre alte Wohn- und Geschäftshaus in der Altstadt von Höxter gesprengt. In einem Brief, der gestern bei der Polizei eingegangen ist, bezichtigt sich der 64-Jährige der Tat: »Die Explosion war kein Unglück«, heißt es in dem per Computer gedruckten Schreiben, das von den Ermittlern für authentisch gehalten wird. Der Absender teilt mit, er habe im Keller die Gasverschraubungen gelöst und 900 Liter Brandbeschleuniger verteilt. »Schuld ist mein Bruder Wilfried«, heißt es weiter mit Hinweis auf mehrere Zivilprozesse.
Eigenbrötlerisch, gelegentlich streitsüchtig, zeitlebens kontaktarm und zuletzt ausgemergelt und psychisch angeschlagen - so beschreiben Verwandte den Mann, der als Diplom-Ingenieur in Diensten des holländischen Phillips-Konzerns frühpensioniert worden sein soll. Zusammen mit seiner Mutter Irma, die vor einigen Jahren 90-jährig verstorben war, hatte er das große Haus in der Innenstadt von Höxter bewohnt.
Um dieses Gebäude hat es bereits seit 30 Jahren gerichtliche Auseinandersetzungen gegeben. Das Haus gehörte in den 70-er Jahren zur Hälfte den Brüdern Günther und Wilfried H., die andere Hälfte besaß ihr in Detmold lebender Cousin. Nachdem dieser die Immobilie in den 70er Jahren renoviert und dabei auch Kunststofffenster eingebaut hatte, war er von Günther H. wegen angeblicher Wertminderung verklagt worden. »Das Verfahren ging durch drei Instanzen, und Günther hat verloren«, sagte der Cousin gestern. Um sich das Haus nicht weiter mit den Brüdern H. teilen zu müssen, hatte er 1979 eine Teilungsversteigerung durchgesetzt: »Dabei trieben wir uns gegenseitig so hoch, dass die Brüder schließlich den Zuschlag für ein Mehrfaches des Schätzwertes bekamen«, erinnert sich der Cousin, der damals mit 50 Prozent »gut ausgezahlt« wurde.
Der Cousin war allerdings nicht der einzige, mit dem Günther H. im Clinch lag: 1998 versuchte Günther H., das Haus gegen den Willen seines Bruders Wilfried zwangsversteigern zu lassen, hatte damit aber keinen Erfolg. Der in Hessen lebende Bruder änderte allerdings Jahre später seine Meinung, nachdem er immer wieder für den Unterhalt der Immobilie zur Kasse gebeten wurde. Er setzte vor dem Amtsgericht Höxter unter dem Aktenzeichen 7 K 73/04 eine Teilungsversteigerung durch, gegen die Günther H. Rechtsmittel einlegte. Die Sache sollte in Kürze vor dem Oberlandesgericht in Hamm verhandelt werden - für Günther H. offenbar der Auslöser, sich und das Haus in die Luft zu jagen. »Als Bestrafung für die Ungerechtigkeit, die ich erlitten habe«, wie er in seinem Abschiedsbrief schrieb.
»Mich für diese Wahnsinnstat verantwortlich zu machen, ist absurd. Bei mir liegen die Nerven blank«, sagte Wilfried H. gestern, nachdem er von dem Selbstbezichtigungsschreiben seines Bruders erfahren hatte. Er habe seit Jahren keinen persönlichen Kontakt mehr zu seinem Bruder gehabt, man sei nur noch über Anwälte in Verbindung geblieben.
Der Cousin des Täters geht übrigens davon aus, dass die Wucht der Explosion auf die dicke Beton-Kellerdecke zurückzuführen ist, die er in den 70er Jahren im Zuge der Renovierung hatte gießen lassen: »Unter dieser Betondecke konnte sich die Druckwelle richtig aufbauen, bevor die Explosion das Haus zerstörte.«

Artikel vom 21.09.2005