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Chinesen lassen sich nicht abwählen

Ifo-Chef Hans-Werner Sinn beklagt Niedergang der deutschen Wirtschaft

Von Dietmar Kemper
Harsewinkel (WB). Die Deutschen »wollen sich nicht retten lassen«, glaubt der Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München, Hans-Werner Sinn, nach der Bundestagswahl.
Hans-Werner Sinn: »Lohnkosten zu hoch«.

Am Sonntag hätten die Wähler »für Stillstand votiert«, beklagte Sinn gestern abend in Harsewinkel-Marienfeld mit Blick auf die rechnerische linke Mehrheit von SPD, Grünen und Linkspartei. Die Deutschen wollten keine radikalen Reformen - die seien aber leider unverzichtbar, denn »die Chinesen lassen sich nicht abwählen.« Während der Druck durch andere Länder zunehme, komme die Bundesrepublik nicht voran, bedauerte der Ökonom beim »Unternehmerforum Ostwestfalen-Lippe«, das zum zweiten Mal von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG ausgerichtet wurde.
Deutschland sei mit 14 Prozent seit 1995 das beim Bruttoinlandsprodukt am langsamsten wachsende Land Europas, habe mit 3 Prozent die niedrigste Nettoinvestitionsquote aller entwickelten Staaten, mit 27,60 Euro die zweithöchsten Arbeitskosten pro Stunde bei Industriearbeitern sowie die größte Arbeitslosigkeit in der Gruppe der Geringqualifizierten. Die heimische Wirtschaft entledige sich zunehmend ihrer Mitarbeiter und habe gleichzeitig in ihren Standorten im Ausland mittlerweile 4 Millionen Jobs geschaffen, rechnete Sinn vor.
Damit Deutschland ökonomisch wieder auf die Beine komme, seien folgende Maßnahmen unverzichtbar: Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden ohne Lohnausgleich, Öffnungsklauseln, die starre Flächentarifverträge zugunsten freiwilliger betrieblicher Vereinbarungen aufweichen, Verringerung der Abgabenlast und eine »aktivierende Sozialhilfe«. Künftig sollten alle arbeiten müssen und erst dann staatliche Unterstützung erhalten, wenn die Bezahlung zu gering ausfalle. Dieses Modell, in dem es kein Geld mehr für Nichtstun gebe, mache Schluss mit der »Krankheit, dass sich Lohnersatz zum größten Jobkiller entwickelt hat«. Wer das für zu hart und unfair hält, dem schreibt der Wirtschaftswissenschaftler Sinn ins Stammbuch: »Die Gesetze der Marktwirtschaft sind auf dem Auge der Gerechtigkeit blind.«

Artikel vom 21.09.2005