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Menschen schreien vor Angst

l Benzinflaschen von Balkon geworfen l Hunde suchen Opfer l Passanten zu Boden geschleudert

Von Frank Spiegel
und Harald Iding (Fotos)
Höxter (WB). Gestern 9.10 Uhr: Ein Wohn- und Geschäftshaus »An der Kilianikirche« gegenüber dem Historischen Rathaus in Höxter explodiert, Menschen schreien in Angst, werden zu Boden geschleudert. Fensterscheiben, Mauerwerk und Mobiliar -Êalles wird zu Geschossen.

Der Rentner Willi L. (79) und eine Rentnerin (81), die zufällig vor dem Haus sind, werden erschlagen, 36 Menschen verletzt. Männer, Frauen und Kinder brechen von Splittern und Mauerteilen getroffen zusammen. Ums Leben kommt nach Annahmen von Polizei und Staatsanwaltschaft auch der mutmaßliche Verursacher der Explosion: Günther H. (62). Er ist Miteigentümer des Hauses, seine Leiche wurde bis Redaktionsschluss noch nicht gefunden.
Als Motiv für die Tat vermutet Staatsanwalt Dietmar Sauerland einen Streit zwischen H. und seinem Bruder. Den beiden Männern habe das Haus gemeinsam gehört, H. habe dort gewohnt. Zahlreiche Gerichtsverfahren seien anhängig. Nunmehr habe aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts Höxter die Teilungsversteigerung des Hauses angestanden. Der entsprechende Beschluss des Amtsgerichts Höxter sei jedoch noch nicht rechtskräftig. Eine abschließende Entscheidung durch das Oberlandesgerichts Hamm liege noch nicht vor.
»Der Mann stand nach Angaben einer Zeugin auf dem Balkon und hat Flaschen mit einer brennbaren Flüssigkeit -Êmöglicherweise Benzin -Êin den Innenhof des Hauses geworfen«, sagte der Staatsanwalt. Die Zeugin habe ihn daraufhin aufgefordert, das zu unterlassen. Noch während die Frau mit der Polizei telefoniert habe, sei es zur Explosion gekommen.
Ob es sich dabei um eine Gasexplosion gehandelt hat oder ob sich hier ein Benzin-Luft-Gemisch entzündet hat, das soll nun die Tatortgruppe des Landeskriminalamtes vor Ort herausfinden.
»Da war eine Explosion, und dann war das Haus schon nicht mehr da«, schilderte ein Augenzeuge dem WESTFALEN-BLATT. Er selbst sei von der Druckwelle zu Boden geschleudert worden, sei aber unverletzt geblieben: »Bis auf den Druck in den Ohren.« Er habe Menschen mit blutenden Verletzungen gesehen. »Kurze Zeit später gab es noch eine Explosion, da flogen die Kanaldeckel hoch«, erinnert sich der Mann.
Bis in die einige hundert Meter entfernte Marktstraße hinein reichte die Druckwelle der Explosion. Zahlreiche Fensterscheiben gingen zu Bruch. In Minutenschnelle waren Einsatzkräfte von Feuerwehr und Polizei vor Ort.
»Es gab Vollalarm für die Feuerwehr in Höxter. 150 Männer und Frauen waren schnell vor Ort. Wir haben Abschnitte gebildet für die Wasserversorgung und die Menschenrettung«, beschrieb Wehrführer Stefan Dickel gestern die Vorgehensweise der Wehr. Erste Priorität habe die Suche nach Überlebenden gehabt.
Nach Einschätzung von Dickel wird die Suche in den Trümmern noch bis zum heutigen Morgen andauern. Er habe auch technisches Gerät von der Berufsfeuerwehr Dortmund angefordert, mit dessen Hilfe Menschen noch besser geortet werden können.
Zu diesem Zweck sei auch eine Hundestaffel der Polizei vor Ort gewesen.
Noch bis heute soll der Bereich um den Explosionsort gesperrt bleiben. »Die Eigentümer müssen in Ruhe die Möglichkeit bekommen, ihr Hab und gut zu schützen«, sagte Polizeidirektor Udo Möller, Leiter Gefahrenabwehr und Strafverfolgung bei der Kreispolizeibehörde in Höxter.
Den Wert des explodierten Wohnhauses bezifferte Staatsanwalt Dietmar Sauerland auf etwa 320 000 Euro. Der Gesamtschaden sei vermutlich sehr viel höher. Landrat Hubertus Backhaus geht von »vielen Millionen« aus.

Artikel vom 20.09.2005