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Gegen Ungeist des Aufrechnens

Erklärung der deutschen und polnischen Bischöfe zur Versöhnung

Fulda/Warschau (dpa). Die historische Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen ist nach Auffassung der katholischen Bischöfe beider Länder durch einen neuen »Ungeist des Aufrechnens« gefährdet.
Es werde mit Sorge gesehen, »dass die Erinnerung an die finstersten Stunden unserer gemeinsamen Geschichte nicht nur den Geist der Versöhnung gebiert, sondern auch alte Wunden, die noch nicht geheilt sind, wieder aufreißt und den Ungeist des Aufrechnens hervorbringt«, heißt es in einer gestern auf der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda unterzeichneten Gemeinsamen Erklärung. Anlass war der 40. Jahrestag eines historischen Briefwechsels zur deutsch-polnischen Versöhnung.
»Manche Menschen in Politik und Gesellschaft rühren geradezu leichtfertig an den immer noch schmerzenden Wunden der Vergangenheit. Andere wollen sie offenkundig sogar rücksichtslos für persönliche oder politische Zwecke missbrauchen«, klagen die katholischen Bischöfe mit Blick auf die Diskussion um ein Zentrum gegen Vertreibungen und Entschädigungsforderungen von Vertriebenen. Der 40. Jahrestag des Briefwechsels sei daher Anlass, »solcher Verantwortungslosigkeit im gegenseitigen Verhältnis mit allem Nachdruck zu widersprechen«.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, sieht noch immer Probleme in der Freundschaft beider Länder. »Der gute Wille ist da, aber es gibt weiter Auseinandersetzungen«, sagte er. Selten bekomme er so viele negative, wütende oder zornige Zuschriften, als wenn er über Ausländer und das Judentum spreche. »Das ist ein Bodensatz in der Gesellschaft, der immer noch da ist.«
Auch die Forderungen nach Reparationszahlungen, die Preußische Treuhand und ein Zentrum für Vertreibung gäben immer wieder Anlass zu Diskussionen. Lehmann bekräftigte, ein solches Zentrum solle im Konsens mit den polnischen Nachbarn entstehen. »Berlin ist für sie sicher eine Herausforderung«, sagte er. Zudem solle der Titel nicht nur Vertreibung, sondern auch Versöhnung enthalten.
Der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz, Jozef Michalik, der mit einer Delegation polnischer Geistlicher einer gemeinsamen Messe und dem anschließenden Festakt beiwohnte, sprach von einem Akt brüderlicher Versöhnung vor 40 Jahren. »Die Bischöfe hatten den Mut, die Wunden der Geschichte mit dem Evangelium zu berühren«, sagte er. Leid und Fehler habe es auf beiden Seiten gegeben. »Aber Hass heilt keine Wunden. Er reißt sie auf.«
Die polnischen Bischöfe hatten vor 40 Jahren in dem Schreiben an ihre deutschen Amtsbrüder appelliert: »Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung.« Der Briefwechsel gilt heute als ein Brückenpfeiler der deutsch-polnischen Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg. In der neuen Erklärung, deren polnische Fassung am Samstag in Breslau unterzeichnet wird, bekennen sich die deutschen und polnischen Bischöfe zur Verpflichtung, sich weiterhin »mit aller Kraft für die Versöhnung zwischen Deutschen und Polen einzusetzen«.

Artikel vom 22.09.2005