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Joseph de Maistre

»Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient.«

Leitartikel
Ehrlichkeit hat verloren

Lektionen
für die
Deutschen


Von Jürgen Liminski
Angesichts der Demagogie und Hetzkampagnen vor allem von Seiten der SPD war diese Wahl auch ein kollektiver Intelligenztest. Deutschland ist durchgefallen.
Jetzt ist das Durcheinander groß, eine stabile Regierung, die endlich auch die Reformen vollziehen könnte, ist nicht in Sicht. Ein Hauch von Weimar geht von dieser Wahl aus, und es ist ein billiger Trost, sich des Wortes des Diplomaten und Schriftstellers Joseph de Maistre zu erinnern, wonach jedes Volk die Regierung hat, die es verdient. Deutschland steht vor einer Phase der Lähmung und Instabilität. Reformen wird es vorerst nicht geben.
Das ist nicht die einzige sichere Lehre, die man aus dieser Wahl ziehen kann. Bei all den Unwägbarkeiten kann man auch heute schon eindeutig zwei weitere Verlierer ausmachen.
Die ersten sind die Demoskopen. Sie haben sich gewaltig geirrt, und auch wenn sie jetzt verzweifelt beteuern, dass sie immer auch auf die hohe Zahl von Unentschiedenen hingewiesen hätten, so müssen sie sich doch auch fragen, ob ihre Methoden angesichts der gestiegenen Zahl der Wechselwähler noch geeignet sind, Prognosen zu erstellen.
Der zweite Verlierer ist die Ehrlichkeit. Die Union ist angetreten mit der Zusage, ehrlich zu sagen, was man vorhat. Das zahlte sich aber nicht aus, und in den Parteizentralen werden jetzt manche Funktionäre ihre Taktiken nur noch nach dem Nutzen und nicht mehr auch nach moralischen Maßstäben ausrichten. Die psychologischen Folgen sind kaum abzuschätzen. Die Politik droht ein noch schmutzigeres Geschäft zu werden. Dies wird die ideologischen Ränder und politischen Rattenfänger stärken.
Für ein Land, das Reformen dringend benötigt, ist das Gift. Hier liegt auch die Tragik des Versuchs Kirchhof. Paul Kirchhof hätte nicht nur Reformen, sondern auch mehr Ehrlichkeit in den politischen Betrieb gebracht. Dass ihm nun in der Union und von selbsternannten Experten ein gerüttelt Maß an Schuld an der Niederlage beigemessen wird, ist auch ein Vorgeschmack auf künftige Lügenkampagnen.
Natürlich ist die Ehrlichkeit bis zu einem gewissen Grad auch eine Zwillingsschwester des rhetorischen Geschicks des Politikers, so wie die Propaganda eine Zwillingsschwester der Manipulation ist.
Die Grenzen sind nicht immer genau festzulegen. Politik ist situativ. »Wer sich nicht zu verstellen versteht, versteht nicht zu regieren«, meinte der französische König Ludwig XVI. Es nutzte ihm nichts, er wurde trotzdem geköpft. Klüger ist schon die Analyse Bismarcks: »Es gibt Zeiten«, meinte er im Reichstag ganz offen, »wo man liberal regieren muss, und es gibt Zeiten, wo man diktatorisch regieren muss; es wechselt alles, hier gibt es keine Ewigkeit«. Die Frage ist eben, ob Politik nicht vor allem auch verlässlich sein muss, sofern dem Volk an Stabilität und Reformen gelegen ist.
Aber dafür scheint es zur Zeit keine Mehrheit zu geben. Der Souverän will hierzulande offenbar belogen werden.

Artikel vom 21.09.2005