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»Jüdische Kultur
bereichert die Stadt«

Kultusgemeinde gedenkt der Einweihung der Synagoge

Bielefeld (uko). »Toleranz, Gleichberechtigung und Respekt« gegenüber der jüdischen Kultur hat Oberbürgermeister Eberhard David anlässlich der Gedenkveranstaltung zur Einweihung der großen jüdischen Synagoge vor 100 Jahren gefordert. In der Aula des Ratsgymnasiums wurde während des Festaktes auch der Opfer des Nationalsozialismus gedacht.

Am 20. September 1905 war die große Synagoge an der Turnerstraße feierlich ihrer Bestimmung übergeben worden. Der Bau des Regierungsbaurates Eduard Fürstenau spiegelt nach den Worten von Irith Michelsohn, Vorstand der Jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld, eine Gemeinde wider, »die sich um 1905 so weitgehend in ihre christliche Umwelt integriert fühlt, dass sie genügend Selbstbewusstsein aufbringt, historisches Erbe der Heimat, der Weserrenaissance, auch für Juden zu reklamieren«. Diese Synagoge sei mit keiner Kirche in Bielefeld zu verwechseln gewesen - allein schon wegen des 41 Meter hohen Turmes mit dem Davidstern an der Spitze.
Noch 1926 schrieb der Bielefelder Rabbiner Dr. Hans Kronheim hoffnungsfroh: »Mit ihren Mitbürgern verbindet die jüdischen Bewohner Bielefelds die Liebe zu der schönen Stadt, zur gemeinsamen ravensbergischen Heimat.« Kronheim betonte indes auch den »stillen Kampf um das Heimatrecht«, das sich die Jüdische Gemeinde Bielefelds in »Jahrhunderte langem Leiden erworben« habe.
Der Rabbiner konnte kaum wissen, dass die von ihm reklamierte »glückliche Zukunft« schon sieben Jahre später mit der braunen Flut Hitlers in sich zusammenbrach. 1938 dann wurde die große Bielefelder Synagoge nur 33 Jahre nach dem Bau und der prächtigen Einweihung in der Reichskristallnacht niedergebrannt und zerstört.
Die Jüdische Kultusgemeinde Bielefelds rekrutierte sich nach dem zweiten Weltkrieg nur mühsam. Ihr Ende, so erinnerte Hanna Sperling vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden, sei »durch schwindende Mitgliederzahlen abzusehen« gewesen. Heute zählt die Jüdische Kultusgemeinde Bielefelds wieder 236 Mitglieder, davon sind 98 Prozent aus der ehemaligen Sowjetunion. »Und auch diese Juden haben ihre Liebe zu Bielefeld entdeckt und sie als neue Heimat angenommen«, sagte Michelsohn. Nur wie auch schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als die Entscheidung für einen Neubau an der Turnerstraße gefallen sei, »lebt die Gemeinde heute in beengten Verhältnissen in der Stapenhorststraße, einem Gebäude, das seit 1951 Synagoge und Gemeinderäume beherbergt.«
Der Oberbürgermeister freute sich indes 60 Jahre nach Kriegsende über »aktives Leben in der Gemeinde«. In »einer weltoffenen Stadt wie Bielefeld« sei die Entwicklung jüdischen Lebens unabdingbar und möglich, denn »jüdische Kultur ist bereichernd«. Die menschenverachtenden Greuel der Nazizeit hätten den »Verlust des kulturellen und wissenschaftlichen Reichtums« überaus verdeutlicht.

Artikel vom 20.09.2005