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Der Umweltschutz wird groß geschrieben

Die Autoverwertung Kerstingjohänner in Schloß Holte-Stukenbrock nutzt Solarenergie


Von Monika Schönfeld
Schloß Holte-Stukenbrock (WB). Das größte Hochregallager Deutschlands wird überdacht. Die Autoverwertung Kerstingjohänner hat eine Halle mit sechs Etagen hohen Regalen, in dem Altfahrzeuge komplett lagern, überdacht.
2500 Quadratmeter Dachfläche sind mit Photovoltaikmodulen ausgestattet worden. Eine zweite Halle soll demnächst ebenfalls mit der gleichen Fläche Sonnenkollektoren gedeckt werden. »Mit einer Einspeisegarantie von 20 Jahren ist das eine gute Anlagerendite«, sagt Seniorchef Kurt Kerstingjohänner (71). »Ich habe mit dem Betrieb so viele Umweltauflagen erfüllt, dass ich jetzt gar kein schlechtes Gewissen habe.« Die 101,5-Kilowatt-Anlage ist im Dezember in Betrieb genommen worden. Das Regenwasser wird verrieselt. »Damit ist der Betrieb abgeschottet und trocken. Der Kunde darf sich frei bewegen«, sagt Juniorchef Thomas Kerstingjohänner.
Seit 1970 werden bei Kerstingjohänner Automobilrecycling und Umweltschutz auf hohem Niveau betrieben. Der TÜV Rheinland hat das Unternehmen als einen der ersten Betriebe der Region nach der Altautoverordnung zertifiziert. Kerstingjohänner ist lizensierter Vertragspartner aller Autohersteller und entsorgt Altautos mit Zehn-Jahres-Verträgen.
Dass die Menschen Geld sparen wollen oder müssen, ist für die Autoverwertung positiv und negativ zugleich. »Wir bekommen zu wenig Altautos. Viele gehen direkt ins Ausland, die dort noch als Gebrauchtfahrzeuge genutzt werden. Und hier verlängert sich die Laufzeit. Die Leute kaufen nicht mehr alle drei Jahre ein neues Auto«, sagt Thomas Kerstingjohänner. Er steuert gegen, indem er versucht, ein Gebrauchtwagengeschäft aufzubauen. Ein Vorteil der Sparsamkeit sei, dass der Teileverkauf gut laufe.
Das Unternehmen hat die Genehmigung, täglich 30 Autos zu zerlegen, momentan seien es nur acht bis zehn. Kurt und Anita Kerstingjohänner haben den Betrieb gegründet, ihre Söhne Hu-bert und Thomas sind im Unternehmen, das heute 15 Mitarbeiter beschäftigt. »Wir haben 30 Jahre in den Betrieb reingesteckt, was wir verdient haben«, sagt Kurt Kerstingjohänner, der damit einen der modernsten Schrottplätze Europas geschaffen hat. Neben dem Verkauf gebrauchter Teile wird die Geschäftsgrundlage auch durch den Reifendienst gehalten. Neue und gebrauchte Reifen werden in der Werkstatt montiert, Bremsentests durchgeführt. Auch ein Abschleppdienst gehört zum Service.
Thomas Kerstingjohänner ist mit Reifen, Getriebe und Motoren groß geworden, Besuchern - vor allem männlichen -- gehen hier die Augen über. »Autobastlers Paradies liegt in Ostwestfalen«, titelte eine überregionale Zeitung.
Umweltschutz wird bei Kerstingjohänner groß geschrieben. »Unsere Bodenversiegelung ist einmalig. Das 20 000 Quadratmeter große Firmengelände ist komplett mit Fliesen verlegt«, erzählt Thomas Kerstingjohänner. Roste sind über Schächte verbunden, die das Regenwasser in den unterirdischen Ölabscheider führen. Aus dem geschlossenen Kreislauf dringt nichts nach außen.
An den Arbeitsstationen werden aus alten Autos alle Betriebsstoffe abgesaugt. Bremsflüssigkeit, Altöl, Diesel und Benzin kommen getrennt in große Tanks im Öllager, in dem es aus Sicherheitsgründen keinen elektrischen Anschluss gibt. Was verwertet werden kann, wie das Benzin oder die Bremsflüssigkeit, wird gefiltert und von Mitarbeitern für die Betriebsfahrzeuge genutzt. In 15 000-Liter-Erdtanks werden die Flüssigkeiten gesammelt, um »vernünftige Preise« mit Entsorgern auszuhandeln oder sie Raffinerien anzubieten. Scheibenwaschwasser, Brems- und Kühlflüssigkeiten werden wiederverwendet.
Die Waschanlage arbeitet abflussfrei. »Wir sind ein altlastenfreier Betrieb«, sagt Kerstingjohänner stolz. Vor zehn Jahren war das Unternehmen in die Schlagzeilen geraten, als ein Nachbar den Betrieb als »Umweltverschmutzer par excellence« anprangerte. Das bescherte dem Unternehmen eine Absauganlage und Sonden, die, über das komplette Betriebsgelände verteilt, Messungen vornehmen. »Meinen Eltern hat das einige graue Haare gebracht. Aber jeder Fernsehfilm über uns war positiv.«
Wenn die Schrottpresse das Gerippe der Autos in handliches Format quetscht, nachdem alles Verwertbare ausgebaut ist, wird der Schiffsmotor aus den 1950-er Jahren angeworfen, der zusätzlich Strom erzeugt. Motoren kommen in die Guss-Verwertung, Altbatterien und Akkumulatoren werden getrennt sortiert, Stoßstangen und Scheiben finden auch noch jemanden, der sie gebrauchen kann. In drei bis vier Minuten ist ein Auto zu handlichem Schrott gepresst. Kerstingjohänner entsorgt auch für Fremde, zum Beispiel ein Kühlaggregat von Aldi. Autoreifen werden an Zementwerke geliefert.
Vorrätig sind 1500 Altautos, 4500 können jährlich verwertet werden, dieses Jahr werden es nur 3000 sein. Bis in die 1990-er Jahre, so Kurt Kerstingjohänner, seien 20 Jahre lang 7000 bis 8000 Autos im Jahr verwertet worden. Die starke Nachfrage der Stahlwerke im Herbst 2004 habe der Autoverwertung einen Schub gegeben. »China und Indien haben den Markt leergekauft.«
Der Kundenstamm der Autoverwertung kommt nicht nur aus dem Umland. Stammkunden aus Polen haben sich auf die Marke Ford spezialisiert. Aber auch aus Nigeria und Mexiko kommen Teilehändler mit einer genau ausgearbeiteten Einkaufsliste. Sie können in Kunden-Appartements auf dem Betriebsgelände übernachten. Manche nehmen das ganze Auto mit. Motoren gehen weltweit in den Export, wie jüngst eine Lieferung von 100 Kadett-Motoren nach Ghana. Ein Mexikaner hat sich auf VW-Bulli-Getriebe spezialisiert, die Kerstingjohänner überregional aufkauft. »Nach Afrika könnte ich das Zehnfache verkaufen. Es kommt aber nichts nach.«
www.kerstingjohaenner.de

Artikel vom 22.10.2005