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Schröder: Der Aufsteiger
aus Lippe gibt nicht auf

Erst Neuwahlen, dann Wahlkämpfer bis zum Schluss

Berlin (Reuters). Kampf - vielleicht ist dies der Schlüsselbegriff zum Wahlkampfphänomen Gerhard Schröder (61).
Gerhard Schröder: Sein letzter Wahlkampf?

Warum er sich trotz der für ihn schlechten Umfragen mit aller Kraft in das Rennen um die Stimmen stürze, wollten die Moderatoren im TV-Duell vom Kanzler wissen. Schröder erzählte von seiner Jugend in Lippe, dem Außenseitertum, der Armut und seinem Aufstieg. Immer sei es darauf angekommen, bis zur letzten Minute zu kämpfen. Für einen wie ihn fällt die Entscheidung mit dem Schlusspfiff.
Den roten Faden seiner Karriere bilden der Ehrgeiz des Aufsteigers und ein politischer Pragmatismus, die seine Gegner zuweilen als prinzipienlose Sprunghaftigkeit bezeichnen. In sieben Jahren war Schröder »Genosse der Bosse«, »Friedenskanzler« und Vertreter deutscher Firmen im Ausland. Er trat bei »Wetten dass« auf und beim Jahrestag des Kriegsendes in der Normandie, erfand die »Politik der ruhigen Hand« und die »Agenda 2010«.
Erst im Wahlkampf fand er für seine Amtszeit die Überschriften, mit denen er auch in die Geschichtsbücher eingehen würde.
Die Wurzeln in kleinen Verhältnissen sind heute Teil des Schröder-Bildes: Mit Frankreichs Präsident Jacques Chirac besuchte er beinahe, aber nicht wirklich sein Heimatdorf Mossenberg; junge Unterstützer tragen rote T-Shirts mit seinem Spitznamen »Acker« im Fußballklub TuS Talle; seinen Aufstieg über den Zweiten Bildungsweg führt er an, wenn er gleiche Bildungschancen für alle fordert.
Schröder begann mit dem Eintritt in die SPD 1963 eine Laufbahn, die immer wieder auch von Konflikten gekennzeichnet war. Was für einen Juso-Chef, der Schröder von 1978 bis 1980 war, Ehrensache ist, setzte sich auch mit dem Aufstieg in den sozialdemokratische Führungskreis fort. 1980 bis 1986 saß er im Bundestag, bevor er in die niedersächsische Landespolitik ging. Schon als Oppositionsführer löste er mit seiner pragmatischen Linie in den eigenen Reihen Konflikte aus, mehr noch als Ministerpräsident in der rot-grünen Koalition. 1993 verlor er den Kampf um die Kanzlerkandidatur gegen Rudolf Scharping, der ihn 1995 wegen Unbotmäßigkeit als Sprecher für Wirtschaftsfragen feuerte, ehe er selbst von Oskar Lafontaine gestürzt wurde.
Schröder gewann 1998 als Kanzlerkandidat gegen Lafontaine einen Machtkampf, der sich 1999 in dessen Rückzug und 2005 Richtung Linkspartei fortsetzte. Die Euphorie über den Wahlsieg 1998 nach 16 Jahren Opposition hielt nicht lange an. Dem Zauber des Neuanfangs folgten Konflikte und Lernprozesse.
Trotz drohender Niederlage bleibt Schröder heute gelassen, inszeniert sich als Mensch, der seine Erfüllung in der Familie findet, und witzelt mit Blick auf seine russische Adoptivtochter, für ihn gehe es am 18. September um »Sieg oder Viktoria«.

Artikel vom 17.09.2005