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Schön war's in
Washington

Fernsehpionier Thilo Koch wird 85

Von Gisela Mackensen
Tuttlingen (dpa). Heute ist es TV-Alltag. Vor etwa vier Jahrzehnten dagegen, als das deutsche Fernsehen fast noch in den Kinderschuhen steckte, galt es als Riesen-Sensation: Die erste Live-Übertragung aus den USA via Satellit ermöglichte es 1963 dem deutschen Publikum, die Trauerfeierlichkeiten für den ermordeten Präsidenten John F. Kennedy direkt am Bildschirm mitzuerleben.
Fernsehpionier Thilo Koch.Foto: teutopress

Für den Kommentator Thilo Koch, den ersten Amerika-Korrespondenten der ARD, war es zugleich ein unvergessliches journalistisches Erlebnis. Am Dienstag feiert der Fernseh-Pionier, der in einem Dorf nahe Tuttlingen lebt, seinen 85. Geburtstag.
So nehmen denn auch die Amerikajahre von 1960 bis 1964 ungeachtet seiner ungeheuer vielseitigen journalistischen und schriftstellerischen Arbeit in Kochs Leben eine herausragende Stellung ein. »Meine beruflich schönste Zeit war natürlich Washington«, sagt Koch. »Die Kennedy-Jahre waren besonders ergiebig, und ich hatte sehr gute Sendezeiten.« Unvergessen sind die »Weltbühne Amerika« und der »Brief aus Washington«, die sonntagsabends als Teil der Tagesschau Millionen Deutsche mit der Supermacht Amerika bekannt machten. 1963 gehörte er außerdem zu den Mitbegründern des ARD-»Weltspiegels«, des ältesten deutschen Auslands-TV-Magazins.
Begonnen hatte Kochs Karriere, der in Canena bei Halle/Saale geboren wurde, nach Kriegsdienst und Studium in Berlin als freier Mitarbeiter verschiedener Zeitungen und Rundfunkredakteur. 1954 wurde er Leiter des Berliner Studios des damaligen Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR). Zugleich arbeitete er als Berlin-Korrespondent für die Wochenzeitung »Die Zeit«. 1958 fing er beim Fernsehen an und interviewte beispielsweise in der Reihe »Aus erster Hand« Prominente wie Theodor Heuss, Bertrand Russel oder Karl Jaspers.
Doch der Bildschirm allein genügte ihm nicht. »Das Fernsehen war meine wichtigste Arbeit, aber nicht meine liebste«, meint er rückblickend. »Ich habe lieber geschrieben und auch sehr gern Radio gemacht, weil da das Wort für sich wirken kann, während im Fernsehen das Bild diktiert«. So kamen zu den unzähligen dokumentarischen TV-Filmen über Gegenwartsthemen aus Deutschland und aller Welt 29 Bücher hinzu. Bei weiteren 18 war er Herausgeber. Die Veröffentlichungen umfassen verschiedene literarische Gattungen vom Roman über Gedichte bis zum politischen Essay und feuilletonistischen Betrachtungen. Darunter sind Schriften über Gottfried Benn oder Casanova. Bestseller wurden Werke wie »Kämpfer für eine neue Welt« - eine Kennedy- Biografie - oder »Auf dem Schachbrett der Sowjetunion: Die DDR«.
Bei den aktuellen TV-Auslandsprogrammen bewundert er die technischen Möglichkeiten. »Meine Filme kamen ja noch mit der Lufthansa aus Washington über New York nach Hamburg«, erinnert er sich. Mit der Qualität der politischen Nachrichtensendungen ist er allerdings weniger zufrieden. »Das Bild steht im Vordergrund, die Analyse bleibt auf der Strecke«. Nur den öffentlich-rechtlichen Polit-Magazinen bescheinigt er annehmbare Arbeit.
Seinen Geburtstag will Koch im kleinen Kreis feiern, nur mit Sohn und Tochter und einem guten Freund, ohne die neun Enkel und die zwei Urenkel. Nach einem großen Fest ist ihm nicht zumute, nachdem seine Frau nach 60-jähriger Ehe im Januar gestorben ist.

Artikel vom 17.09.2005