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1,5 Billionen Euro Schulden:
Ohne Sparen geht's nicht mehr

Eichel selbst hat ein 25-Milliarden-Loch im Bundeshaushalt ausgemacht

Von André Stahl
Berlin (dpa). Im Schlussspurt vor der Wahl hat eine auch dieser Zeitung vorliegende »Giftliste« von Finanzminister Hans Eichel (SPD) die Debatte über die Staatsfinanzen doch noch in Gang gesetzt. Und das mit einer Schärfe, die Unions-Steuerfachmann Paul Kirchhof aus den Schlagzeilen rückt.

Die Union hat ein »geheimes Sparpaket« ausgemacht und spricht von »gigantischem Betrug« und Wählertäuschung. Das sei ein »durchschaubares Wahlkampfmanöver«, heißt es im Hause Eichel; die SPD spricht von Verleumdung. Es gebe keine Sparlisten, zumindest keine von der Ministeriumsspitze in Auftrag gegebene. Dies würden die zuständigen und »politisch neutralen« Spitzenbeamten sogar unter Eid beschwören.
Nach dem Streit um Kirchhofs »Streichliste« der Steuersubventionen sehen manche im Vorstoß der Union eine bloße Retourkutsche. Als Beweis für die angebliche Sparliste Eichels von jährlich 30 Milliarden Euro gilt eine Rechen-Tabelle und ein Aktenzeichen, dass Eichels Befassung mit der Sache nahelegt. Besagte Tabelle teilt das Strukturdefizit des Bundeshaushalts per »Rasenmäher« auf die Etats der Ministerien und Einzelpläne auf. Je 13,9 Prozent werden abgezogen. Das ergibt bei den Ausgaben für den Bundestag einen Sparbetrag von 77,6 Millionen Euro und beim 85,6- Milliarden-Etat des Sozialministeriums einen Abzugsbetrag von 11,9 Milliarden Euro. Was das konkret bedeuten würde, bleibt offen. Die Spalte »vorgeschl. Maßnahmen« ist in der Tabelle durchgängig leer.
Für den heimischen Wehrexperten Jürgen Herrmann (CDU) reicht das, um das Schlimmste zu befürchten: »Mit weiteren Personalreduzierungen werden Wehrpflicht und Wehrgerechtigkeit unterlaufen«. Vor allem: »Dass diese Maßnahmen mit weiteren Standortschließungen verbunden sind, liegt auf der Hand.«
Die Tabelle beginnt 2006. Eichel hat aber für das kommende Jahr einen Haushaltsentwurf vorgelegt, auch wenn dieser nicht mehr vom Kabinett beschlossen wurde. Damit wäre eine Radikalkürzung um 30 Milliarden für 2006 obsolet.
Dennoch werden im Finanzministerium angesichts der desolaten Finanzlage Alternativen durchgespielt. Schließlich sind die Staatsschulden auf 1,5 Billionen Euro gestiegen. In diesem Jahr, voraussichtlich auch 2006 und damit das fünfte Mal nacheinander wird Deutschland gegen den Euro-Stabilitätspakt verstoßen - mit der Folge saftiger Strafen.
Tatsache ist auch, dass Einmalerlöse aus Privatisierungen dem künftigen Finanzminister nur noch 2006 aus der Klemme helfen können. Eichel selbst hat von einem »strukturellen Defizit« von jährlich 25 Milliarden Euro von 2007 an gesprochen. Anfang Juli hieß es in einer Kabinettsvorlage, dass der Bund den Ländern rechtzeitig einen »Tragfähigkeitspakt« vorlege, um die öffentlichen Finanzen »langfristig auf eine nachhaltige Grundlage zu stellen«.
Eichel hatte mehrfach angekündigt, alte, im Bundesrat gescheiterte Vorschläge für einen Subventionsabbau wieder aufzugreifen und so die Einnahmen zu erhöhen. Dazu gehört, den reduzierten Mehrwertsteuersatz - es gibt mehr als 50 Ausnahmen - für bestimmte Produkte zu streichen. Lebensmittel oder Bücher und Zeitungen sollten ausgenommen werden. In der Kabinettsvorlage heißt es zudem, dass »auch künftig alle Ausgaben einer fortlaufenden Überprüfung zu unterziehen« seien.
Bei den Ausgaben des Bundes (256 Milliarden Euro) gelten fast zwei Drittel als quasi nicht antastbar. Allein zur Alterssicherung - Renten, Pensionen, Kriegsopferzahlungen - sind 100 Milliarden blockiert, für Zinszahlungen weitere 40 Milliarden. Lediglich mehr Wirtschaftswachstum - worauf die Union setzt - wird kaum reichen, die Misere zu beheben. Nach der Wahl wird die neue Regierung sagen müssen, wie sie die Haushaltsprobleme in den Griff bekommen will.

Artikel vom 16.09.2005