15.09.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Seelen im »Schwebezustand«

»Gespenster« - Blick in die Gefühlswelt einsamer Menschen


Mit »Gespenster« präsentiert Christian Petzold (45) wohl einen der anspruchsvollsten Kinospielfilme dieses Jahres nicht nur der nationalen, sondern ebenso der internationalen Produktion. Auf stilistisch überaus eigenwillige Weise schildert der seit »Pilotinnen« (1995) mit Filmen wie »Die innere Sicherheit« (2000) und »Wolfsburg« (2002) auf Erfolg abonnierte Regisseur ein gegenwärtig weit verbreitetes Lebensgefühl.
Petzold, der auch das Drehbuch schrieb, ließ sich zu der hintergründigen Geschichte vom Grimmschen Märchen »Das Totenhemdchen« inspirieren. Ausgangspunkt ist Françoises (Marianne Basler) Suche nach ihrer Tochter, die einst als Kleinkind entführt wurde. Jahr für Jahr reist die Verzweifelte deshalb von Paris nach Berlin. Eines Tages glaubt sie, die Vermisste in der Halbwüchsigen Nina (Julia Hummer) wiederzuerkennen. Die ziellos durchs Leben streunende junge Frau aber wird vollkommen davon beansprucht, eine Freundschaft zur ebenfalls wurzellosen Toni (Sabine Timoteo) aufzubauen. Alle drei Frauen ringt um Nähe und Vertrautheit. Doch sie können nicht zueinander kommen.
Die durchweg in einem Schwebezustand zwischen Wachen und Wahn ablaufende Handlung am Potsdamer Platz und im Berliner Bezirk Tiergarten beeindruckt als facettenreicher Spiegel deutscher Gegenwart. Der in Bildgestaltung und Dialogführung strenge, fast asketisch anmutende Film reflektiert in den privaten Tragödien allgemeine Nöte wie Zukunftsangst, materielle Unsicherheit und die innere Leere angesichts einer lauten, hektischen, allein von Äußerlichkeiten geprägten Welt.
Petzolds tiefer Blick in die Seelen einsamer Menschen auf der fast zwanghaften Suche nach Liebe und Geborgenheit macht es dem Publikum nicht einfach. Fern jeder Gefälligkeit verlangt er vom Zuschauer ein hohes Maß an Konzentration und die Bereitschaft, sich auf den ruhigen Fluss einer hintergründigen Erzählung über die Unruhe des Hier und Heute einzulassen.

Artikel vom 15.09.2005