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Merkel greift den Kanzler an,
Schröder überhört Gysis Werben

Spitzenkandidaten fallen sich in der ARD-Debatte gegenseitig ins Wort

Von Basil Wegener
Berlin (dpa). Sechs Tage vor der Bundestagswahl haben Kanzler und Herausforderin das Florett gegen den Säbel getauscht.
Beschworen trotz gegenteiliger Umfrageergebnisse eine Neuauflage der rot-grünen Koalition: Joschka Fischer und Gerhard Schröder.

Beim zweiten Aufeinandertreffen der Kontrahenten im Fernsehen verschärfte Angela Merkel (CDU) den Ton: Schröder verfalle in eine »des Bundeskanzlers unwürdige Polemik«. Schröder kontert: »Die Art und Weise, wie Sie jetzt argumentieren, lässt ein bisschen vermissen, dass Wahlkämpfe Zeiten zugespitzter Argumentation sein müssen, aber nicht unbedingt beleidigend.« Daraufhin Merkel: »Beleidigend, wenn wir schon darüber sprechen, sind Sie gegenüber Herrn Kirchhof.«
Wer neben deftiger Rhetorik neue inhaltliche Akzente erwartet hat, wurde bei der ARD-Diskussion »Die Favoriten« gestern Abend enttäuscht. Trotz Abgrenzungen vom parteilosen Steuerexperten Paul Kirchhof in den schwarz-gelben Reihen zeigte sich Merkel erneut »froh«, dass der Professor als Finanzminister-Kandidat zur Verfügung stehe. Die Union wolle Kirchhof »im Heizungskeller« einsperren, ätzte Joschka Fischer (Grüne). Doch der Schlagabtausch über den abwesenden Kirchhof ebbte bald ab.
Mit seinem bereits beim ersten TV-Duell erfolgreichen leicht herablassendem Charme warf Schröder der Union vor, in der Kohl- Regierung die nötigen Reformen verschlafen zu haben. »Wir haben bewiesen, dass wir es können.« Seit April entstünden täglich 1500 Arbeitsplätze, die »Agenda 2010« müsse fortgesetzt werden. Seit 49 Monaten, konterte Merkel, gingen jeden Tag mehr als 1000 Jobs verloren. Schröders Agenda gehe zwar in die richtige Richtung. »Wir sagen: Es muss weitergehen!« Schröder: »Aber wo, wo muss es weiter gehen?« Der Verlust des sozialen Zusammenhalts drohe.
Im gut eineinhalbstündigen Verlauf verfinstern sich die Mienen. Wenn Fischer, ganz Staatsmann, künftige Herausforderungen skizziert, blickten Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber skeptisch. Später rechnete Stoiber das Unionskonzept einer Gesundheitsprämie vor, warb FDP-Chef Guido Westerwelle für Steuersenkungen als bestes Beschäftigungsprogramm. Da wich Schröders Lächeln minutenlang versteinertem Ernst, Fischer setzte seinen Habicht-Blick auf.
Nach einer Stunde und sieben Minuten lief die von den Chefredakteuren Wolfgang Kenntemich (MDR) und Alois Theisen (HR) geführte Debatte ein wenig aus dem Ruder. Stoiber und Schröder warfen sich leere Versprechungen vor - und übertönen sich gegenseitig. Bereits zuvor hatte Schröder zurückgewiesen, dass das Finanzministerium eine Streichliste ähnlich wie die ominöse Kirchhof-Liste erarbeitet habe. »Fleißige Beamte mit einem bestimmten Parteibuch« gebe es im Haus Hans Eichels.
Heftige Antipathie zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb war hinreichend demonstriert, da fragten die Journalisten pflichtschuldig nach möglichen Koalitionen über Lagergrenzen hinweg. »Wir sind in der gleichen Situation, die wir 2002 hatten«, sagt der Kanzler. Er sei optimistisch. »Eine große Koalition wird es nicht geben«, stellte Merkel fest. Ein rot-gelb-grünes Bündnis komme für sie nicht in Frage, betonten Fischer und Westerwelle.
Im blauen Studio von Sabine Christiansen blieb es dem Spitzenkandidaten der Linkspartei, Gregor Gysi, vorbehalten, die Fantasie über politische Farbspiele anzuregen. »Die SPD ist ein bisschen zur zweiten Union geworden«, meinte er. Doch wenn die Sozialdemokraten wieder zu ihren Wurzeln fänden, sei eine Zusammenarbeit denkbar.
Der so umworbene Gerhard Schröder ließ die Worte Gysis links neben sich verhallen.

Artikel vom 13.09.2005