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Peppig, fruchtig
und vor allem
»sine alcohole«
Sinalco feiert 100. Geburtstag - Zentrale einst in Detmold
Die Jugend ist gelb, hat einen roten Punkt und schmeckt. Gemeint ist die Jugend der heute 45-, 55- oder 65-Jährigen. Gemeint ist die Sinalco-Jugend.
In diesem Jahr feiert die fruchtig süße deutsche Brause 100. Geburtstag. Genau genommen ist die Rezeptur sogar mindestens drei Jahre älter. Erfunden hat sie der 1842 in Radebeul geborene Naturheilkundler Friedrich Eduard Bilz. In seiner sächsischen Heimatstadt betrieb der Zeitgenosse von Johann Schroth und Sebastian Kneipp ein angesehenes Sanatorium. Nebenbei experimentierte er dem Gesundheitstrend (heute: Wellness) jener Jahre folgend mit heimischen und exotischen Früchten. Das Ergebnis verkaufte er wohl ab 1902 unter dem Namen »Bilz Seele« bzw. »Bilz Brause«.
Die wirklich Erfolgsgeschichte des neuen Fruchtsaftgetränks begann, als Bilz mit dem lippischen Getränkefabrikanten Franz Hartmann in Kontakt kam. Der Lagenser gab der Brause zunächst, was ihr am meisten fehlte: einen zugkräftigen Namen. Für jene Zeit ganz modern veranstaltete er dazu ein Preisausschreiben. Teilnahmeberechtigt waren die Leser mehrerer Zeitschriften. Der Sieger, der für seinen Vorschlag 100 Goldmark einstecken durfte, bediente sich für seinen Vorschlag der lateinischen Sprache: Aus »sine alcohole« - ohne Alkohol - leitete er den neuen Markennamen Sinalco ab.
Es schien, als hätte Deutschland auf den prickelnden Durstlöscher nur gewartet. Von drei Millionen Flaschen in 1902 erhöhte sich der Verkauf auf 300 Millionen Flaschen von 1904 bis 1906. Um das Wachstum zu finanzieren, gründeten Hartmann und Bilz ein Jahr später die Sinalco AG. Sitz der Aktiengesellschaft wurde die lippische Residenz Detmold. Von dort ging die Limonade schon bald bis in den Nahen Osten und nach Südamerika.
Der Erste Weltkrieg unterbrach den Aufschwung des Unternehmens nur. In den zwanziger Jahren schon setzte sich der Siegeszug fort. An der Spitze stand seit 1908 Direktor Carl Vogel. Er blieb bis 1936. Und als er dann trotz großen Erfolgs aus dem florierenden Unternehmen hinausgeworfen wurde, lag das an seiner nichtarischen Herkunft.
Die beeindruckenden Jugendstil-Anzeigen und Reklametafeln aus der Anfangszeit zeigten beispielsweise einen Trinkpokal, aus dem die Limonade überschäumte. Engelchen, Rosen und Schmetterlinge gesellten sich zur Sinalco und wurden von geschwungenen Linien eingerahmt. Später wurde die Werbung sachlicher und internationaler, in den dreißiger Jahren naturalistisch bis martialisch.
In den fünfziger Jahren entwickelte sich die Sinalco zum Familiengetränk. Für die Kinder war sie die Krönung des Sonntagsspaziergangs. Mit den Jahren konnte man sich den prickelnden Genuss, für den ein Mädchen namens Annabel unter anderem von den Litfasssäulen warb, immer häufiger leisten.
Sinalco, unverwechselbar durch den roten Punkt und die charakteristische Formflasche, begleitete das deutsche Wirtschaftswunder. Durch die Erfolge ihrer Arbeit rehabilitiert fühlten sich immer mehr Deutsche berechtigt, das Leben auch zu genießen. Die positive Stimmung spiegelte sich in dem Werbe-Liedchen »Die Sinalco schmeckt, die Sinalco schmeckt, die Sinalco, -nalco, -nalco schmeckt!« Der Flohwalzer gab die Melodie; kaum jemand, der damals nur ein bisschen Klavier spielte, kannte ihn nicht.
Natürlich lockte der Erfolg Konkurrenz an. »Bluna« und den einfachen Limonaden hatte Sinalco noch ihren Markennamen voraus. Die koffeinhaltige »amerikanische« Cola war schon von einem anderen Kaliber. Zunächst war sie noch verpönt. Doch allen Warnungen konservativer Eltern zum Trotz entwickelte sich die Cola in den siebziger Jahren dann doch zu dem Haupt-Jugendgetränk. Dem sexy Coca-, Pepsi- und Afri-Cola-Rausch konnten sich auch die Detmolder nicht entziehen. Ihrer »Sinalco-Cola« war jedoch trotz Werbe-Unterstützung durch die Popart-Puppe Rita kein großer Erfolg beschieden - eben so wenig wie umgekehrt »Fanta«, der nordamerikanischen Antwort auf Sinalco.
In den achtziger Jahren schien dann die große Zeit von Sinalco vorbei. Die AG gehörte seit 1971 mehrheitlich zur Dr. Oetker-Gruppe. Hintergrund war die Übernahme der Dortmunder Hansa-Brauerei durch den lokalen Mitbewerber, die Oetker-Brauerei DAB. Hansa brachte als Mitgift das seit dem Anfang der dreißiger Jahre in ihrem Besitz befindliche Sinalco-Aktienpaket in die Ehe. Hochzeiten unter Getränkefirmen waren schon damals an der Tagesordnung - allerdings auch Scheidungen.
1981 verkaufte Oetker Sinalco weiter an die Schweizer Sibra AG, einem Unternehmen der Feldschlösschen-Brauerei. Sibra wurde jedoch mit ihrer Detmolder Investition nicht sehr glücklich. 1987 stellte sie die Produktion in Lippe ein und vergab sie teils an die Heidelberger Rudolf Wild GmbH, teils an die Schweizer Brauerei Cardinal. Zehn Jahre später kam auch das erwartete »Aus« für die zuletzt noch 38 Verwaltungsangestellten in der Detmolder Bahnhofstraße.
Schon vorher hatte die Getränkegruppe Hövelmann im Duisburger Stadtteil Walsum die Markenrechte an Sinalco übernommen. Selbst in Zeiten, als Sinalco kaum noch in den Geschäften und den aufkommenden Getränkemärkten zu finden war, kannten 80 Prozent der Bevölkerung die Marke. Das machte es für Hövelman einfach. Auf dem Höhepunkt der Retro-Welle Mitte der neunziger Jahre gelang ein erfolgreiches Comeback. Heute zählt Sinalco mit einem Absatz von jährlich 150 Millionen Litern neben Coca-Cola und Pepsi wieder zu der Spitzengruppe unter den bundesweit angebotenen Limonaden.
Außer als Limo gibt es die älteste europäische Softdrink-Marke wieder als Cola, Cola Light, Zitrone, Apfelschorle und als Mineralwasser-Marke Aquintéll. Das Originalgetränk aber hat das, was man heute »Kultstatus« nennt. Einen großen Anteil am Erfolg hat auch der Flohwalzer. Die Melodie, einmal ins Ohr gesetzt, ist einfach nicht wegzubekommen: »Die Sinalco schmeckt, die Sinalco schmeckt, die Sinalco, -nalco, -nalco schmeckt!« Doch es geht nicht um Genuss allein. Dem Anliegen des Gründers Friedrich Eduard Bilz folgend wird Sinalco mit natürlichem Mineralwasser und bis heute unter Verzicht auf alle künstlichen Aromastoffe abgefüllt.Bernhard Hertlein

Artikel vom 01.10.2005