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Militärisches allgegenwärtig

Ausstellung in der Raspi zum Ersten Weltkrieg in Bielefeld

Von Matthias Meyer zur Heyde und Bernhard Pierel (Foto)
Bielefeld (WB). Auf der Ochsenheide werden Schützengräben ausgehoben. Ein paar Uniformierte mit Gewehren springen hinein, und für 50 Pfennig dürfen die Bielefelder mal gucken, wie es vor Verdun zugeht. Das Foto ist eines der beeindruckenden Schaustücke, diein der Ausstellung zum Ersten Weltkrieg in der Raspi zu sehen sind.

Die Bielefelder - wie alle Deutschen damals - gingen bemerkenswert unbefangen mit dem Thema um; die grauenhaften Erfahrungen in zwei mörderischen Kriegen haben erst spätere Generationen zu Skeptikern reifen lassen. Und so gestattet uns denn die Ausstellung, die die Historiker Bernd Wagner und Jürgen Büschenfeld und der Ingenieur Peter Salchow in einer Zusammenarbeit von Stadtarchiv und Volkshochschule präsentieren, einen Blick in eine Vorstellungswelt, die uns Heutigen ideologisch fremd, durch den Bezug zu Bielefeld aber gleichzeitig beängstigend nah zu sein scheint.
Im ersten Stock des VHS-Gebäudes im Ravensberger Park sind Plakate und Anschläge mit Aufrufen an die Bevölkerung zu sehen, eine Litfaßsäule mit Zeitungsartikeln vom Mord in Sarajewo bis zur Kapitulation und mehrere Vitrinen mit Originalen aus der Zeit der Einigungskriege (1864, 1866 und 1870/71) bis Weimar.
Gleich zu Beginn räumt Büschenfeld mit der anscheinend unausrottbaren Legende von der reichsweit ungeteilten Kriegsbegeisterung auf. Jubelnde Menschenmengen wusste man auch 1914 bereits zu inszenieren - im Gegenteil: Bielefelder Bürger demonstrierten bis unmittelbar vor Ausbruch der Feindseligkeiten gegen den Krieg. Sie wussten, warum, und die Litfaßsäule macht es augenfällig: Kaum waren die ersten Schüsse gefallen, da brachten heimische Zeitungen schon die ersten Todesanzeigen. Eine berührt uns besonders: »Paul« (bewusst ohne Nachname) ist 1918 gefallen, »unser guter, hoffnungsvoller Sohn und Bruder« - viel zu jung noch, ein Junge eben.
Die militarisierte Gesellschaft verschlang selbst die Kleinsten: Kinderteller weisen den Weg, auf dem die Armeen marschieren sollen - nach Paris! Und, Gipfel des »unschuldigen Zynismus«, von der Front in Waelhem grüßen drei Feldgraue triumphierend von einem Trümmerhaufen: »Darunter liegen 400 tote Belgier - durch ein 42-cm-Geschoss!«
»Was uns an der Front um die Ohren flog«, schickten die Soldaten nach Hause, scharfkantige Splitter, Metallschrott, mit dem die Granaten gefüllt waren, deformierte Gewehrkugeln. In der Heimat wurde unterdessen alles gesammelt, was das Heer brauchen konnte, sogar Frauenhaare für Dichtungen. »Man hatte geglaubt, was die Führung verkündet hatte: Weihnachten seid ihr wieder daheim!«, erklärt Wagner. Doch der Krieg zog sich hin. Folge: überall Engpässe. Die Bielefelder wurden sogar aufgefordert, im Sommer barfuß zu gehen, um die Schuhe aus dem knappen Rohstoff Leder für den Winter zu schonen.
Außer dem Stadtarchiv und dem Sammler Salchow, der inzwischen ein profunder Kenner des Kaiserreichs ist, steuerte der Senner Ortsheimatpfleger Hans Schumacher ein Gutteil der Exponate bei: Der pensionierte Gymnasiallehrer aus Senne sammelt alles, was mit den 55ern zu tun hat, dem in Bielefeld stationierten 55. Infanterie-Regiment. Fotos von Reservisten, einen bemalten Bierhumpen und eine ebenso geschmückte, reich verzierte Wasserflasche, ein Pfeifenkopf mit Pickelhaube (!) als Deckel, Orden und vieles mehr belegen, wie allgegenwärtig den Bielefeldern vor 90 und mehr Jahren das Militärische war.
Und natürlich gehören auch zwei echte Pickelhauben (eine für Unteroffiziere der Reserve, eine für Mannschaftsdienstgrade) die Schau, die bis zum 24. Oktober zu sehen ist. Führungen wird es zwar nicht geben, und ein Besuch ersetzt auch nicht die Fachlektüre, aber Büschenfeld, Wagner und Salchow schaffen dennoch ein kleines Wunder: Manche Denkweisen unserer Altvorderen, die eingangs unendlich fern liegen, werden am Ende, wo nicht gutzuheißen, so doch begreiflich.

Artikel vom 13.09.2005