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Ortega y Gasset

»Schlimmer als die Bosheit ist die Dummheit. Denn Bosheit kann man ändern.«

Leitartikel
Schröder spielt Angst-Piano

Intelligenz der Wähler ist gefragt


Von Jürgen Liminski
Es ist schon erstaunlich, dass ein TV-»Duell«, bei dem Angela Merkel nach Ansicht sehr vieler Zuschauer und Fachbeobachter den überzeugenderen Auftritt hatte, die Wende für den Kanzler gebracht haben soll. Sind all diese Zuschauer und Zuhörer Betrüger oder die Befragten so dumm, dass sie auf die Posen und Parolen des Kanzlers hereinfallen? Die Schlacht der Demoskopen tobt, und wenn nicht alles täuscht, wird diese Wahl zum Intelligenztest für die Deutschen.
Zumindest ein Test für den Angstpegel in der Gesellschaft. Der ist in Deutschland in der Regel höher als in vergleichbaren Ländern. Der Begriff der »german angst« gehört zum Vokabular ausländischer Deutschlandkenner, um unbegreifliche Verhaltensmuster zu erklären. Kriegsfurcht gab vor drei Jahren den Ausschlag, diesmal könnte es die Angst vor sozialem Abbau oder schlicht vor Veränderungen sein.
Schröder beherrscht die Klaviatur des Angst-Pianos. Sonst hat er nicht viel zu bieten. Im Gegenteil: Beim Thema Mehrwertsteuer lügt er ebenso wie beim Thema Arbeitsmarkt. Die nüchterne »Neue Zürcher Zeitung« schreibt: »Es ist schon bemerkenswert, wie sich ein gut gelaunter Kanzler als großer Friedensstifter und Sozialreformer geben kann, obwohl seine Bilanz nach sieben Jahren eine einzige Katastrophe ist.« Aber Schröder argumentiert eben nicht, sondern treibt Angst an mit Sprüchen wie: »Auch die Armen sollen Gesundheit kriegen« oder »Wir müssen verhindern, dass der Kirchhof uns alles wegsteuert«. Dieses Niveau ist in seiner Plattheit rational gar nicht erfassbar.
Gegen Ängste helfen offenbar auch noch so kluge Kampagnen nicht. Ängste kann man nur mit Aufklärung abbauen. Dafür ist die Zeit nun aber zu knapp. Deshalb ist diese Wahl auch ein Test für die Aufgeklärtheit und den kritischen Geist der Deutschen.
Der Kanzler verspricht Kontinuität, also Stetigkeit, und warnt vor dem Griff der schwarz-gelben Konkurrenz in diese Nische. Dass private Nischen mehr mit persönlichen Bindungen, also mit Familie zu tun haben als mit dem Staat, das begreift Schröder vermutlich selbst nicht mehr. Denn mit der Hybris, der Selbstüberhebung des Mächtigen ziehen er und seine staatsgläubigen Genossen doch gerade über die traditionelle Familie her.
Dass solche Schlagworte überhaupt Wirkung zeigen können, wäre schon eine wissenschaftliche Analyse wert. Sollten sie dazu führen, dass die SPD die Union auf den allerletzten Metern noch einholt, dann wäre das an sich nicht die Schuld des Lügners. Einstein meint dazu: »Das Universum und die menschliche Dummheit sind unendlich. Beim Universum bin ich mir allerdings nicht ganz sicher.«
Dann aber wäre das Volk der Dichter und Denker mehrheitlich zu einem Volk von Furchtsamen und Angsthasen mutiert. Hinzu kämen noch die Eitlen unter den Baronen der CDU, die Paul Kirchhof von Anfang an nicht verstanden haben - bzw. partout nicht verstehen wollen.

Artikel vom 13.09.2005