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Und für was wir alles Liebe empfinden können! - es liegt überhaupt keine Logik darin. Die Liebe ist so unterschiedlich und unvorhersagbar wie Regenwetter: sie kommt als gleichmäßiger sommerlicher Nieselregen oder als plötzliches, unerwartetes Gewitter, das die Flüsse über die Ufer treten lässt und die Fischerboote in Cornwall so heftig beutelt, dass sie ihre Besatzung ausspeien und an den Atlantik verlieren. Sie prasselt auf dich nieder oder spült über dich weg, dass dir die Sinne vergehen. Sie kann ein Tröpfeln sein oder ein wahrer Guss. Sie ist seltsam, sie macht mit dir, was sie will. Also hatte Gerry vielleicht nicht ganz so Unrecht - sie ist etwas Komisches.
Mrs. Maddox in ihrem kleinen rosa Haus war die richtige Frau für ein Gespräch über die Liebe. Sie kannte alle ihre Gesichter. Ich weiß noch, wie ich mich im folgenden Herbst an sie wandte, hilflos, verwirrt und so müde nach diesem Sommer, und wie sie mein Gesicht in ihre knotigen Hände nahm.
»Manche Dinge geschehen einfach, Evie! Und sie haben keinen Sinn! Mein lieber Mr. Maddox ist am Tag vor unserem Hochzeitstag - genau am Tag davor! - draußen im Garten gestorben, als er unter dem Magnolienbaum Unkraut zupfte. Ich schaute aus dem Fenster und sah ihn dort liegen. Und ich wusste. Ich wusste einfach, dass er tot war. Ich weiß nicht, warum er gestorben ist oder warum er an diesem Tag sterben musste, und ich habe Jahre hindurch versucht, es zu verstehen - Jahre! Aber die Wahrheit ist«, flüsterte sie und griff nach meiner Hand, »manche Dinge geschehen einfach. Wir können weiter nichts tun, als den Kopf senken und weitermachen. Verstehst du, was ich sage, Evie? Verstehst du?«
Verstand ich? Ich dachte schon. Schlag dich nicht mit Vergangenem herum. Such nicht nach Gründen, denn das hat keinen Sinn und es ist zerstörerisch. Geh weiter.
Ich nickte. Manche Dinge sind eben, wie sie sind.
»Braves Mädchen«, sagte sie.

Kann eine Achtjährige verliebt sein? Das ist eine Frage. Wer kann das schon sagen? Liebe ist so ein kleines, einfaches Wort in diesem Alter. Es geht einem so leicht von der Zunge. Wir haben keine Ahnung von der Macht dieses Wortes, seinen schartigen Rändern und welchen Preis wir dafür bezahlen müssen. Es ist so leicht, sich über ein Mädchen dieses Alters lustig zu machen, das von sich behauptet, verliebt zu sein - aber ich behauptete es von mir. Alles lief auf ihn hinaus. Wenn ich aus meinem Fenster das Licht aus seinem Wohnwagen durch die Bäume schimmern sah, gab mir das Trost. Es hat mich nie jemand gefragt, was ich für ihn empfand, aber hätte man mich gefragt, hätte ich ernst genickt: Ja. Ich liebe Daniel. Und?
Nicht dass es Liebe auf den ersten Blick gewesen wäre - daran glaube ich nicht. Aber so wie meine Großmutter spürte, dass er ein guter Mensch war, schon als er zum ersten Mal die Zufahrt zum Hof heraufkam, so wusste ich von allem Anfang an, dass ich ihn mochte. Liebe? Das kam in Aberporth. Ich erinnere mich an den Augenblick. Wir saßen in der Sonne auf einer Bank mit Blick aufs Meer, und ich schielte durch meine Haare zu ihm hinauf. Und ich wusste, es ist wahr. So wie das Licht der Straßenlampen in der Stadt anfangs nur ein rötliches Glimmen ist, das nach und nach stärker wird - genauso, erkannte ich, war es mit der Liebe. Ein gleichmäßiger Regen von der Art, in dem die Blumen sich öffnen. Der Augenblick war einer der klarsten in meinem Leben. Schicksalhaft, perfekt. Ich schleckte mein Eis fertig und wusste es. Ich bin immer ganz sicher gewesen.
Daniel hat mich zuerst geküsst, nicht umgekehrt - mitten auf dem Markt in Carmarthen etwa eine Woche vor Weihnachten, vorletztes Jahr. Es war bis dahin ein nasser, kalter, elender Tag gewesen. Taube Hände und kalte Ohren, und als wir wieder in die Welt um uns herum zurückkehrten, sagte Daniel: »Es wird einige Leute geben, die was dagegen haben.« Aber ich schlang nur meine Arme um seinen Hals und erwiderte den Kuss.
Wer hatte was dagegen? Gerry. Er zeigte es nicht offen, aber als ich es ihm sagte, saß er eine Weile schweigend da. Als er die Sprache wieder fand, sagte er: Du hast ihn also immer schon geliebt? Immer schon?
Mrs. Watts war geradezu erbost. Am Tag, nachdem meine Schwangerschaft bekannt geworden war, erschien sie auf unserer Türschwelle und erklärte: »Eve, er gehört doch fast zur Familie.« Das machte mich wütend - ich hatte es nie so gesehen. Nie. Sie schüttelte den Kopf und sagte: »Sechzehn Jahre! Sechzehn!«
»Fünfzehn Jahre, neun Monate und zwölf Tage«, antwortete ich und machte ihr einfach die Tür vor der Nase zu.
Reverend Bickley hingegen nickte freundlich zu der Neuigkeit. Er fragte mich, ob ich glücklich sei, und ich glaube, meine Antwort muss ihn zufrieden gestellt haben, denn er schickte uns in diesem Jahr eine gemeinsame Weihnachtskarte. Wir gingen hinunter zur Weihnachtsmesse, und da war er und sah zu, wie sein Nachfolger den Chor leitete. Ich fand, dass er müde und alt aussah. Daniel ging zu ihm und drückte ihm einen Becher Glühwein in die Hand. Sie sprachen eine Weile miteinander. Nach dem letzten Lied legte ihm der Reverend die Hand auf die Schulter und sagte: Pass gut auf sie auf, ja?

Billy ist nicht mehr da, ich kann nicht mit ihm reden, aber er wusste auch alles über die Liebe. Ich begriff es nicht, als ich acht war. Ich hatte keine Ahnung. Aber hätte ich die Augen nur ein klein wenig weiter aufgemacht, hätte ich alle Anzeichen eines traurigen Herzens gesehen - Einsamkeit, Stille, eine Lethargie, gepaart mit dem Wunsch, alles zu beschützen, was ihn an sie erinnerte.
Was war die Liebe für ihn?
Blumen. Und ihre lateinischen Namen aus einem Bibliotheksbuch zu lernen, um ein Mädchen mit braunen Augen zu beeindrucken.
Und Pfefferminzbonbons. Er gab sein ganzes Geld dafür aus und stopfte sich die Jackentaschen damit voll. Warum? Nicht, weil er gerne die Pferde damit fütterte - das ist nicht die Wahrheit. Die Wahrheit ist, dass meine Mutter dort reiten lernte, jeden Samstagmorgen zwischen neun und halb eins, von ihrem elften Lebensjahr bis zu ihrem achtzehnten. Mit geflochtenem Haar und Reithandschuhen mit Gumminoppen an der Unterseite. Die Pfefferminzbonbons waren nur ein Vorwand, um da sein zu dürfen.
Das Feuer
Wie endete das alles? Wenn es überhaupt je wirklich endete?
Letzte Juliwoche. Der Ginster blühte, und die Schafe zogen sich Dornen ins Fell. Das letzte Heu verrottete. Eines Abends hörte ich unten in der Nähe des Brych einen Ziegenmelker schnurren, und es machte mich traurig. Auch Eulen waren unterwegs. Unser Vieh wurde nach Dasselfliegeneiern untersucht, die Schafe nach Fliegenmaden. Jakobskraut wurde ausgerissen. Unser wilder Rhabarber welkte, und die Blätter waren weich geworden. Aber ich konnte immer noch hineinkriechen und mich darunter verstecken.

Die Schule war vorbei. Ich kam von unseren Kühen zurück und sah meine Großmutter mit hängenden Armen im Hof stehen. »Großmama?«, flüsterte ich. Sie sah aus, als wäre sie weit weg. Auf ihrer Stirn stand Schweiß, ihr Blick war zum Himmel gerichtet. »Wir brauchen ein Gewitter«, sagte sie. »Ich habe Kopfweh -« - sie berührte die Schläfen - »genau hier.«

* * *
Am Dienstag fand ich Gerry oben auf dem Kamm. Er hockte vor der Hütte, das Kinn auf die Knie gelegt. Es dauerte eine Weile, bis er mit der Sprache herausrückte und mir sagte, was los war.
»So ist es noch nie gewesen«, sagte er.
»Was?«
Er meinte seine Eltern und ihre Streitereien. Er drückte die Augen auf die Kniescheiben, und ich saß da und wusste nicht, was ich tun sollte. Vor uns breitete sich Wales aus und sah braun und durstig aus. Selbst hier oben gab es jetzt nicht viel Wind.

Tags darauf, als ich mich zum Pub hinunterschleppte, um mir ein Glas Limonade zu kaufen, sah ich Mrs. Hughes zum ersten Mal seit Monaten wieder. Ich blieb stehen und starrte. Ich dachte an die Lämmer mit gebrochenen Beinen, die im Gras hecheln und ihr Schicksal kennen. Genauso war sie. Sie stolperte dahin, als hätte sie das Einrasten eines Gewehrschlosses gehört und warte nur noch auf den tödlichen Schuss. Sie schaffte es gerade noch an der Eiche vorbei und näherte sich dem »Weißen Hirschen«, dann brach sie zusammen. Ihr Kopf fiel nach vorn, als ob er zu schwer wäre; ihre Knie knickten ein. Ich hörte ein Knacken, als sie den Boden berührten. Das Geräusch, das sie von sich gab, war unvorstellbar. Ein letztes Stöhnen, einen lauten Ausruf. Ich stand da. Ich dachte, sie wäre gestorben.
Männer kamen aus dem Pub, um ihr zu helfen. Sie griffen ihr unter die Arme und trugen sie in den Schatten. Sie sah aus wie eine Wachspuppe. Ich konnte ihre Poren sehen und die Adern am Hals. Dann kam ein Heulen aus ihr. Der Mund öffnete sich zu einem riesigen schwarzen Loch. Sie war also nicht tot, aber auch nicht richtig am Leben. Alles in Ordnung, Mrs. Hughes, wir kümmern uns um Sie, sagten die Männer.

Und eines Nachmittags, als ich am Laden vorbeischlüpfte, tippte mir jemand auf die Schulter.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 22.09.2005