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Europäer kritisieren Lücken
bei der Terrorbekämpfung

EU-Staaten demonstrieren Geschlossenheit, praktizieren sie aber nicht

Von Dirk Schröder
Brüssel (WB). Seit den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001 hat die Europäische Union den Kampf gegen den Terrorismus zu einer ihrer Hauptaufgaben erklärt. Aber vier Jahre danach sind die Defizite bei der Terrorbekämpfung weiterhin offensichtlich.
EU-Koordinator für Terrorismusbekämpfung, Gijs de Vries: Lücken bei Terrorbekämpfung.

Ihre Hausaufgaben hat die Europäische Union immer noch nicht gemacht. Zwar demonstrieren die EU-Länder immer wieder Geschlossenheit bei der Bekämpfung des Terrorismus, wie noch im Juli nach den Anschlägen in London. Doch dies geschlossene Auftreten kann nicht verdecken, dass es an der Umsetzung kräftig hapert. Andere Traditionen, unterschiedliche Rechtssysteme und verschiedene Begriffe von Freiheit einerseits und Sicherheit andererseits machen es nicht einfach, den gemeinsamen Nenner zu finden.
Vor diesem Hintergrund hat sich jetzt auch der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des Europaparlaments, Elmar Brok (Bielefeld), für eine bessere Koordinierung zwischen den Mitgliedsstaaten ausgesprochen. »Der global agierende Terrorismus hat inzwischen eine Dimension erreicht, die wir nur noch grenzüberschreitend bekämpfen können. Dies ist aber nur möglich, wenn wir unsere innen- und außenpolitischen Möglichkeiten zur Terrorbekämpfung besser und effektiver als bisher vernetzen«, meinte der CDU-Politiker.
Der Koordinator der Europäischen Union für die Terrorismusbekämpfung, Gijs de Vries, teilt diese Auffassung. »Es ist nicht alles so, wie wir es gerne hätten.« Es gebe bei der Terrorbekämpfung Lücken bei der Umsetzung von Beschlüssen des Europäischen Rates, der EU-Fachministerräte und der Mitgliedstaaten, sagt er. Einiges gehe nicht ganz konform mit den Vorgaben.
Nach de Vries' Meinung kann Terror jedes Land treffen. Insgesamt gebe es fünf Prioritäten der EU, denen besondere Aufmerksamkeit gelten müsse:
l das Informationssystem,
l die Beobachtung von Finanzierungen, Reisebewegungen und Rückzugsräumen,
l die Bewertung kritischer Infrastrukturen etwa im Verkehrswesen,
l der Ausbau des Zivil- und Katastrophenschutzes auch unter Aspekten des terroristischen Einsatzes atomarer, biologischer und chemischer Substanzen,
l sowie der politische Dialog mit Staaten außerhalb der EU über die Hilfe beim Aufbau von Sicherheitsstrukturen.
Brok fordert die EU-Staaten mit Nachdruck auf, die bereits vorhandenen Instrumente grenzüberschreitender Zusammenarbeit endlich um- und einzusetzen, anstatt lediglich die Grundfreiheiten der Bürger unter dem Mantel der inneren Sicherheit immer weiter einzuschränken.
»Es nützt nichts, wenn der Rat nach jedem neuen Anschlag große Erklärungen über eine verbesserte Terrorbekämpfung abgibt und gleichzeitig die beschlossenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten anschließend nicht umgesetzt werden.«
Laut de Vries liegt Deutschland bei der Umsetzung zwar in der Spitzengruppe der EU-Mitglieder. Brok nennt aber einige Beispiele aus Deutschland für die mangelhafte Umsetzung. Hier seien weder der europäische Haftbefehl noch das Rechtshilfeübereinkommen für Strafsachen, das Europolabkommen und das Abkommen für die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln bisher in Kraft getreten. »Die Mitgliedstaaten müssen ihre Hausaufgaben machen und die vorhandenen Rechtsinstrumente endlich nutzen«, erklärt Brok. Alles andere sei Betrug an den Bürgern und ihren Freiheitsrechten.
Inzwischen haben die zuständigen Minister wohl erkannt, dass sie nicht noch mehr Losungen und Strategien brauchen, sondern die, die sie haben, endlich wirksam machen müssen. Noch im Juli erklärte Justizkommissar Franco Frattini: »Wir wollen uns jetzt auf die Umsetzung unserer vorherigen Beschlüsse konzentrieren und keine neuen Gesetze entwerfen.«
Schwerpunkt der gemeinsamen Arbeit sollte ein besserer Austausch der in den jeweiligen Nationalstaaten vorhandenen Daten sein. In der Praxis sah dies dann beim Treffen der Innenminister der EU vergangene Woche in Luxemburg so aus: Grundsätzlich waren sich die Minister einig, dass Verbindungsdaten zur Fahndung nach Terroristen und anderen Verbrechern EU-weit einheitlich gespeichert werden sollten.
Im Detail waren die Meinungsverschiedenheiten aber noch zu groß. Ein Beschluss wurde einmal mehr vertagt. Immerhin bewegten sich die Minister auf das Europäische Parlament zu: Die umstrittenen Regelungen sollen möglichst mit Beteiligung der Abgeordneten verabschiedet werden.
Bis zum Jahresende wird daraus aber wohl trotzdem nichts.

Artikel vom 27.10.2005