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»Bei 55 Grad im Maschinenraum«

Rolf-Peter Geurink berichtete im Erzählcafé vom harten Leben auf See

Von Markus Poch
(Text und Foto)
Brackwede (WB). »Eine Seefahrt, die ist lustig; eine Seefahrt, die ist schön...« - diesem fröhlichen Volkslied kann Rolf-Peter Geurink vom Lohmannshof nur eingeschränkt zustimmen. Der ehemalige Seemaschinist, heute 64 Jahre alt, hat ganz andere Erfahrungen auf den Weltmeeren gemacht, als jemand, der vielleicht an der Reling eines Kreuzfahrtschiffes steht und mit einem Cocktail in der Hand den Sonnenuntergang bewundert. Aber gerade deswegen bescherte ihm die Seefahrt spannende Geschichten, von denen er jetzt einige im Brackweder Erzählcafé vorstellte.

»An diesem Schraubstock das ganze Leben verbringen? - Nicht mir mir!« Mit dieser Erkenntnis hatte der gebürtige Brackweder 1959 den Grundstein für ein abwechslungsreiches Leben gelegt. Als Maschinenschlosser in der Turbinenfabrik Meier (Brackwede) schmiss er im Alter von 18 Jahren die Brocken hin. Geurink wollte endlich mal die Länder selber sehen, die geliefert bekamen, was er herstellte. So heuerte er an als Maschinen-Assistent auf dem Kühlschiff »Cap Finisterre« und fuhr von da an zehn Jahre lang zur See - auf den unterschiedlichsten Schiffen, kreuz und quer durch die Ozeane, nach Südamerika, in die Karibik, nach China, Skandinavien und auf dem Mittelmeer.
Zwischendurch qualifizierte er sich mit diversen Patenten weiter, blieb aber immer verantwortlich für die Technik an Bord. »Bei bis zu 55 Grad im Maschinenraum ist die Seefahrt nicht immer lustig», sagt Geurink heute. »Immerhin habe ich dort meinen Geruchssinn verloren und zu großen Teilen mein Gehör. Das passiert eben, wenn neben Dir, wie auf der "Paul Rickmers", 5 400 PS arbeiten... Du gewöhnst Dich so sehr an das Getöse, dass Du nachts aufwachst, wenn die Maschine plötzlich nicht mehr läuft.«
Die große Sturmflut von 1962 erlebte der Brackweder auf hoher See zwischen Kiel und Rotterdam. Im Golf von Biskaya musste er bei Windstärke 10 einen Kolben auswechseln. Ohne Ersatzteile ein defektes Rohr abzudichten, war für ihn kein Problem: Er half sich mit Speck und Bindfaden... »Es gibt zwei Sorten von Menschen«, weiß Geurink: »Erstens die Offiziere in Weiß und zweitens die Malocher unter Deck.« Richtig seekrank sei er insgesamt nur zweimal gewesen: einmal Richtung Südamerika, als er Dienst am Schornstein hatte - 22 Meter über Deck, und zum zweiten Mal viele Jahre später bei einer Butterfahrt nach Helgoland...
Sehr positive Erinnerungen hat der Pensionär an die Fjordlandschaften Skandinaviens und an das Hamburg der 60er Jahre mit seiner pulsierenden Reeperbahn, dem bunten Treiben im Hafen und dem alten Elbtunnel. Besonders gern erinnert er sich an den Sommer 1967, als er mit einer Blinddarmentzündung ins Bielefelder St.-Franziskus-Hospital eingeliefert wurde: »Krankenschwester Inge, die sich damals so gut um mich gekümmert hat, ist meine Frau geworden«, schmunzelt Geurink. »Wenig später kam unser erstes Kind, und damit ging für mich die Seefahrt zu Ende« Anschließend arbeitete er als Hausmeister, Technischer Leiter für die Hotelkette »Maritim« in Bad Salzuflen und bis zur Pensionierung als Abteilungsleiter Technik beim Studentenwerk Bielefeld.
Noch heute ist Geurink gefesselt von der Seefahrt, lebt diese Faszination im Modellbau aus. Einige der Schiffe, die auf See sein Zuhause waren, baut er detailgetreu und ohne jede Anleitung in monatelanger Kleinarbeit nach. Viele Wünsche hat er sich erfüllt, viele Träume gelebt, aber einer wird wohl bleiben: »Wenn ich die richtige Knete hätte, möchte ich einmal mit der "Queen Mary II" nach New York fahren...«

Artikel vom 09.09.2005