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Den Häftlingen eine
Perspektive geben

Arbeit mit Holz als Therapie im offenen Vollzug

Von Caroline Carls (Text)
und Hans-Werner Büscher (Fotos)
Bielefeld (WB). Der Geruch von Sägespänen liegt in der Luft. Sandpapier knirscht über Holz, feiner Staub fällt zu Boden. 15 Männer drechseln, hobeln und sägen in der geräumigen Holzwerkstatt der offenen Vollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede II. Es sind Häftlinge, die an der Arbeitstherapiemaßnahme Holz - kurz AT Holz - teilnehmen.

»Ich will nicht wissen, warum die Leute hier drin sind. Sonst könnte ich nicht ohne Vorurteile mit ihnen arbeiten«, sagt Wolfgang Langenströher. Er ist Justizvollzugsbeamter und seit sieben Jahren Leiter der AT Holz. »Motivation« und »Spaß«, das sind die beiden Worte, die der 51-Jährige am häufigsten verwendet. Seit 27 Jahren arbeitet er bereits in der Vollzugsanstalt »Bibra II«, in der rund 350 Verurteilte sitzen. Die Delikte der Gefangenen reichen von Drogenmissbrauch über Diebstahl, Betrug, Raub und Körperverletzung bis hin zu Sexualdelikten.
»Die Häftlinge, die bei mir sind, haben häufig Schwierigkeiten, sich in einen normalen Arbeitsrhythmus einzufügen«, erklärt Langenströher. »Hier sollen sie sich langsam wieder an einen geregelten Alltag gewöhnen.« Langenströher ist kein Psychotherapeut, aber er hat ein Gespür dafür, wie er die häufig verbitterten und desillusionierten Inhaftierten packen kann: »Wer keinen Spaß bei der Arbeit hat, fliegt hier raus«, verkündet er jedem Neuankömmling. »Ich zeige ihnen, dass Arbeit und Spaß keine Gegensätze sein müssen. Und natürlich sind Erfolge wichtig.« Aus diesem Grund werden die angefertigten Holzprodukte auch nicht weggeworfen, sondern an Privatpersonen, Mitarbeiter und Gefangene verkauft. Kinderspielsachen, Vogelhäuser, Krippenspiele, Regale, Blumenkästen, Kinderschaukelstühle und vieles mehr - das alles findet seine Käufer. Seit Mitte August werden die Produkte über einen landesweiten Online-Shop vertrieben (www.jva-shop.nrw.de). »Alles wird zum Selbstkostenpreis produziert«, erklärt Langenströher. Der 36-jährige Rainer Potteck, der noch 18 Monate in »Bibra II« inhaftiert sein wird, verdient 301 Euro pro Monat - das ist weniger, als er für andere Arbeiten in der Vollzugsanstalt erhalten könnte. Dennoch: »Ich will so lange wie möglich bei der AT Holz arbeiten«, sagt der gelernte Tischler.
Langenströher hat seine eigene Art gefunden, mit den Gefangenen umzugehen. Sie schätzen das Arbeitsklima: wenig Druck, dafür eher eine verständnisvolle Betreuung. Ein Neuer beispielsweise soll sich zunächst in der Werkstatt umsehen, nach etwas suchen, das ihn interessiert, selber machen. Das ist Langenströhers therapeutisches Konzept: den Arbeitsplatz an die individuellen Fähigkeiten anpassen.
Neben der positiven Erfahrung, die Langenströher den Häftlingen bei der Arbeit zu vermitteln versucht, kümmert er sich auch um die sozialen Kompetenzen seiner Schützlinge. Sechs Wochen pro Jahr leitet er ein soziales Training. Richtiges Auftreten, Bewerbungsgespräche, allgemeine Umgangsformen werden geübt. Diejenigen, die kurz vor der Entlassung stehen, werden bei solchen Übungen jedoch bewusst unter Druck gesetzt. Ein Beispiel: »Ich lege ihnen einen Vertrag zum Unterschreiben vor, lenke sie ab, dränge auf eine Unterschrift«, erklärt Langenströher. Und dann die Frage: was steht drin? »Sie sollen lernen, einen klaren Kopf zu bewahren.«
Selbstverständlich sind auch Regeln und Kontrollen nötig, sagt Langenströher. »Denn ohne Respekt wäre kein Humor möglich. Mein Ziel ist es, den Menschen eine neue Perspektive zu geben.« Langenströher scheint Rainer Potteck erreicht zu haben. Der versichert: »Natürlich gibt es Schöneres, als im Knast zu sitzen. Aber wenn schon, dann hält man es hier doch am besten aus.«

Artikel vom 17.09.2005