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Talentsucher in Hauptschulen

18.ÊCarl-Bertelsmann-Preis geht an Lehrstellen-Projekt in Hamburg

Von Bernhard Hertlein
Gütersloh (WB). Mehr als die Hälfte der 500 000 Jugendlichen in Deutschland, die keinen Ausbildungsplatz haben, sind Hauptschulabgänger. Für die Vergabe des Carl-Bertelsmann-Preises 2005 suchte die Bertelsmann-Stiftung Initiativen, die diese Problemgruppe bei der Lehrstellensuche unterstützen.
Der Stifter des Preises: Reinhard Mohn

Bei der Recherche stieß die Stiftung in Mitteleuropa auf 180 Projekte. Sieben kamen in die engere Auswahl. Gestern wurde der mit 150 000 Euro dotierte Preis in Gegenwart von 800 Gästen in der Gütersloher Stadthalle von Liz Mohn an die Initiatoren des »Hamburger Hauptschulmodells«Ê ausgehändigt.
Arbeit, so betonte Liz Mohn schon vorab auf einer Pressekonferenz, gibt nicht nur Lebensunterhalt, sondern auch Lebenssinn und Lebensfreude. Umso schlimmer, wenn Abgänger einer bestimmten Schulart schon von vorneherein abgestempelt seien. Liz Mohn sprach von den Begabungen, die jeder Jugendliche habe, Bischof Prof. Wolfgang Huber später während der Festrede von Talenten. »Die Arbeit gehört zum Menschen wie zum Vogel das Fliegen«, zitierte der Vorsitzende des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ein Spruch Martin Luthers, den so auch Papst Johannes Paul II. genutzt habe. Wer Menschen daran hindere, aus ihren »Talenten etwas zu machen«, dürfe sich nicht wundern, wenn Rechtsextremismus und Gewalt in der Gesellschaft zunähmen.
Prof. Heribert Meffert, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann-Stiftung, verwies auf die ökonomische Seite der Medaille: Ê»Die Jugend ist eine Ressource, deren Verschwendung wir uns nicht leisten können.«
Dr. Michael Otto berichtete, dass Hamburger Unternehmer zunächst versucht hätten, Langzeitarbeitslose wieder in den Beruf zu bringen. Dabei hätten sie festgestellt, dass 90 Prozent der Betroffenen ohne Berufsausbildung waren. Bei einer anschließenden Betrachtung des Lehrstellenmarktes sei aufgefallen, dass weniger als zehn Prozent der Hauptschüler -Êimmerhin 35 Prozent der Schulabgänger -Êanschließend eine Lehrstelle antreten. Dies habe den Anstoß gegeben, zunächst zehn Unternehmen und zehn Schulen zusammenzubringen. »Wir haben die Schüler nach ihren Interessen gefragt und aufgehört, nur nach den Zeugnisnoten zu schauen.« Ergebnis: Die Schüler fühlten sich endlich motiviert. Einige von denen, die schon chancenlos schienen, blühten während der Ausbildung auf. Beispiel Fatma Cevik: Die Hauptschulabgängerin absolviert derzeit eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin und arbeitet jetzt daran, Zahnärztin zu werden. Otto will den Anteil der Vermittlungen von Hauptschülern in Hamburg von derzeit bereits 20 auf 50 Prozent erhöhen.
NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) betonte die Notwendigkeit, über Privatinitiativen hinaus Strukturen zu verändern. Als Beispiel nannte er die Wiedereinführung von Kopfnoten zur Bewertung von Pünktlichkeit, Anstand und Fleiß. NRW wolle zudem die Ganztagesplätze an Hauptschulen ausbauen -Êauf 14 000 bis 1. Februar 2006 und 50 000 bis 2012. S. 4: Kommentar

Artikel vom 09.09.2005