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Lebenslang oder nur vier Jahre Haft

Schwurgericht vor der Kardinalfrage: Mord oder Totschlag in Brackwede?

Bielefeld (uko). Der Messerstecher von Brackwede soll eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes absitzen. Diese Forderung hat gestern Staatsanwalt Christoph Mackel vor dem Schwurgericht erhoben.

Die Verteidiger des 36-jährigen Angeklagten, Ralf Lindrath und Detlev Stoffels, beantragten dagegen vier Jahre Gefängnis wegen Totschlags in einem minder schweren Fall. Das Schwurgericht wird sein Urteil am Mittwoch verkünden.
Der Busfahrer Ercüment C. aus Mettmann hatte am 30. Dezember 2004 den Ehemann der Cousine seiner Ehefrau im Container eines Autohandels am Brackweder Südring erstochen. Das 24-jährige Opfer Hassan C. war an 32 Messerstichen, davon zwölf direkt ins Herz, verblutet. Ercüment C. war noch am gleichen Tag in seinem Heimatort festgenommen worden. Die Tat hatte er zunächst abgestritten, seine Ehefrau hatte ihm sogar noch ein falsches Alibi geben wollen. Im Prozess vor dem Schwurgericht hatte C. zumindest gestanden, sich an einen Stich erinnern zu können. Dann jedoch habe sein Gedächtnis ausgesetzt.
In der Beweisaufnahme waren die Mitglieder der zuletzt verfeindeten Türken-Clans als Zeugen gehört worden. Dreh- und Angelpunkt der Familienstreitigkeiten war die heimliche Heirat des späteren Opfers mit der 20-jährigen Cousine der Ehefrau des Busfahrers. Die junge Frau war heimlich und gegen den Willen ihrer Eltern im April 2004 nach Bielefeld gezogen.
Ercüment C. hatte die Fahrt nach Bielefeld am 30. Dezember 2004 mit einem »Versöhnungsversuch« begründet. Eigentlich habe er seinen Bruder besuchen wollen, der wie seine Eltern das junge Paar unterstützt hatte. Am Südring jedoch sei er von dem späteren Opfer gereizt und aggressiv empfangen worden. Im Container auf dem Autohof habe Hassan C. dann für einen türkischen Mann schwerste Beleidigungen ausgestoßen, habe ein Messer gezogen und ihn angegriffen. Einen Notwehrexzess verneinte Lindrath, Stoffels indes sprach von einer »Spontantat«.
Die Verteidiger folgerten daraus einen Totschlag im Affekt. Die Beweislage sei sowieso »dürftig« gewesen, sagte Lindraht. Die Erklärungen seines Mandanten seien plausibel. Was nach dem ersten Stich passiert sei, sei »nicht erklärlich«. Der Staatsanwalt hingegen sah die Lage der Leiche hinter einem Schreibtisch liegend als klaren Beweis dafür an, daß Hassan C. angegriffen worden sei. Mackel sprach angesichts der ungeheuren Wucht der Stiche (die durch den ganzen Leib gedrungen waren) von der »Aggressivität eines Overkills«. Das Argument, der illegal in Deutschland eingereiste Hassan C. habe seine Ausweisung fürchten müssen, entkräftete Mackel: Diese Maßnahme hätte angesichts des deutschen Passes seiner Ehefrau lediglich einige Wochen Dauer zur Folge gehabt.
Auch das Verhalten des Busfahrers nach der Tat spreche gegen den Angeklagten: Er habe ruhig auf die Neuigkeit der Bluttat reagiert. Nirgendwo seien Spuren von Blut gefunden worden, das Messer sei verschwunden. Ergo habe Ercüment C. aus »niedrigen Beweggründen« gehandelt und müsse wegen Mordes eine lebenslängliche Haft absitzen.

Artikel vom 09.09.2005