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Heinrich Heine

»Gott hat die Esel geschaffen, damit sie dem Menschen als Vergleich dienen können.«

Leitartikel
Nachwahl in Nummer 160

Damals die Oder - und jetzt Dresden?


Von Rolf Dressler
Gewiss, gewiss, die brandakute Angelegenheit »Deutschland wählt die Richtung X« gebietet Ernsthaftigkeit und wachen Sinn. Dennoch sollte - selbst mitten im grellen Wahlkampfgetümmel - ein kleiner schelmischer Zwischenruf erlaubt sein. Hier ist er:
Gerhard Schröder braucht die Gummistiefel des Oderflut-Deichgrafen aus dem Wahljahr 2002 diesmal zwar nicht wieder auszupacken. Aber gestern nun spülte ihm und der SPD, gänzlich unverhofft, das Schicksal (bzw. das, was man dafür halten mag) einen Tatbestand zu, der - sozusagen im Nachgang, eine, zwei oder drei Wochen später - darüber entscheiden kann, wer unser Land in den näch- sten vier Jahren regieren wird:
- Schwarz-Gelb statt Rot-Grün,
- eine Große Koalition von CDU/CSU und SPD,
- womöglich gar ein exotisches Minderheitenkabinett aus SPD und Grünen, von der PDS-Linkspartei gnädig geduldet,
- oder, was ebenfalls niemand ausschließen kann, eine hanebüchene Formation aus SPD, Grünen und der Demagogentruppe Gysi/Lafontaine/Bisky & Co., die sich den Leuten unverfroren verführerisch als Rächer und Retter der Enterbten und Vergessenen andient.
Und der Schelmen-Faden lässt sich noch weiter spinnen. Vielleicht treibt der findige Medien-»Kanzler der Bosse« in seinem Bekannten- und Freundeskreis binnen Tagen ja sogar noch eine Unternehmer-Größe auf, die sich aus dem Stand bereiterklärt, nahe Dresden ein Produktionswerk zu errichten und soundsoviele neue Arbeitsplätze zu schaffen...
Kein Zweifel, dann wäre Gerhard Schröders SPD der Sieg bei der nun notwendigen Bundestagsnachwahl im Dresdener Wahlkreis 160 wohl so gut wie sicher.
Denn die 219 000 Wahlberechtigten dort könnten als sprichwörtliches Zünglein an der Waage den Ausschlag geben für den Ausgang dieser Grundrichtungsentscheidung 2005. Weithin wird sie als politisch-historisch besonders bedeutsam eingestuft.
Stein und Bein schwört Sigmar Gabriel, das neuerdings wieder putzagile Karriereplaner-Schwergewicht der SPD, im heutigen Interview mit dieser Zeitung: Nie und nimmer werde seine Partei um der bloßen Macht willen gemeinsame Sache machen mit den Linksaußen-Herren Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Aber was heißt das schon, seit wegen des Ablebens einer NPD-Kandidatin nun urplötzlich eine völlig neue Geschäftsgrundlage gegeben ist?
Wird Gabriels Schwur bereits zur Makulatur, wenn SPD, Grüne und Linkspartei am 18. September auch nur die Chance wittern, CDU/CSU und FDP beim Nachwahlgang im Dresdener Wahlkreis 160 noch zu überflügeln?
Alles sei möglich, sagen die Meinungsbefrager. Der politische und mediale Schlachtenlärm und der Druck auf die heißumkämpften 219 000 Dresdener Wähler könnten gigantisch werden.
Es sei denn, CDU/CSU und FDP lägen schon am 18. September um Längen vorn.

Artikel vom 09.09.2005