29.10.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Wenn Stoff das Grab bedeckt

Mit wetterfesten Tüchern Gefühle ausdrücken


Ein roter Engel blickt von einem bemalten Tuch in das Essener Büro von Monika Sundermann. Ein kraftvolles Bild, warm und freundlich. Doch das in Rot- und Gelbtönen gehaltene Kunstwerk ist eigentlich keine Wanddekoration, sondern ein neues Motiv aus Sundermanns Grab- und Sargtuch-Kollektion. Ein zwei Quadratmeter großes Tuch, das auf einen Rahmen aufgezogen in der Trauerhalle aufgestellt, über den Sarg gelegt oder auf dem frisch aufgeschütteten Grab befestigt werden kann.
»Mit dieser alternativen Grabgestaltung möchte ich Menschen helfen, ihre Trauer besser zu verarbeiten«, erzählt die gelernte Grafikerin. Es gebe so viele Menschen, die krank seien, weil sie nicht richtig trauern konnten. Häufig fehle einfach die individuelle Gestaltung des Grabes. Das trostlose Bild welkender Kränze auf dem Grab eines Verwandten brachte Sundermann vor einigen Jahren auf die Idee, Tücher über die aufgeschütteten Gräber zu spannen.
Als sie selber schwer erkrankte und lange nicht arbeiten konnte, beschäftigte sich die Essenerin intensiver mit dem Tod und nahm sich die Zeit, ihre Idee weiterzuentwickeln. »Die Beschäftigung mit den Grabtüchern hilft mir, die Angst vor dem Tod zu überwinden«, sagt die 44-Jährige.
Das war vor vier Jahren. Heute umfasst ihre Kollektion mehr als 20 Motive. Bilder aus der Natur, Heiligenbildchen, etwas Stimmungsvolles wie ein Regenbogen, Gebete oder Fotografien. Auf den öffentlichen Ausstellungen ihrer Tücher werde sie häufig angesprochen, bedankten sich Menschen bei ihr für diese Erfindung. »Eine Frau sagte mir, durch die Tücher hätte sie das Gefühl, dass doch noch was Schönes von dem Verstorbenen bleibt«. Die Leute fänden die Tücher gut, »weil das Grab länger gepflegt aussieht, als mit Kränzen. Und, weil sie so Gefühle besser ausdrücken können.« Eine Frau habe schon jetzt in ihrem Testament vermerkt, welches Motiv ihr Grab später einmal schmücken soll.
Problematisch seien allerdings die Richtlinien mancher Friedhöfe. »Auf einigen Friedhöfen möchte man keine Galerie«, so die Künstlerin. Dabei seien bei besonderen Wünschen Hass- oder Rachemotive sowie Anstößiges für sie sowieso tabu. Ansonsten sind der Mativwahl mit Landschaftsaufnahmen, Fußballmotive, Bilder aus Freizeit und Hobby, Fotos, Zünfte keine Grenzen gesetzt - im Rahmen der Friedhofsrichtlinien natürlich.
Je nach Verwendungszweck lässt Sundermann die bis zu 600 Euro teuren Tücher per Spezialverfahren aus verschiedenen Materialien anfertigen: Grabtücher aus einem wetterfesten Stoff, Sargtücher für Begräbnisse oder Einäscherungen aus Naturfaser. Gefragt sind auch Tücher aus waschbarer Synthetik. »Manche Menschen nehmen die Tücher, wenn die Gräber bepflanzt sind, tatsächlich mit heim.« Als Erinnerung, sagt die Designerin.

Artikel vom 29.10.2005