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Das Leben verrinnt

Todesbilder - von Grusel bis Erotik

Je nach Epoche und gesellschaftlichen Denkmustern wird der Tod unterschiedlich dargestellt, der zugrunde liegende Gedanke ist jedoch immer derselbe: Der Mensch soll an seine Vergänglichkeit erinnert und dazu aufgefordert werden, den Tod nicht zu verdrängen.

Die christliche Antike und das frühe Mittelalter kannten noch keine bildliche Darstellung des Todes. Um die erste Jahrtausendwende finden sich frühe Beispiele für Personifizierungen des Todes. Im Hochmittelalter forderte die Kunst mit so genannten Memento-mori-Bildern und -objekten dazu auf, sich der Vergänglichkeit des eigenen Lebens zu stellen. Nach den Pestseuchen des Mittelalters entwickelte sich sogar eine eigene Kunstgattung, die die »Kunst des Sterbens« (Ars moriendi) darstellte. Sie diente der Vorbereitung auf den Tod durch ein gottesfürchtiges Leben.
Das Memento mori fand seinen Ausdruck auch in der im Spätmittelalter entwickelten Gattung der Totentänze. Sie zeigen auf dramatische Weise, dass der Tod unausweichlich jeden Menschen, unabhängig von Rang und Namen, aus dem Leben reißt. Durch Holzschnitte und Kupferstiche wurde diese Darstellung ab Mitte des 15. Jahrhunderts verbreitet.
Der Tod als Schnitter, Knochen- und Sensenmann war lange Zeit in der bildlichen und literarischen Darstellung vornehmlich eine männliche Figur. Doch auch die Verknüpfung von Weiblichkeit und Tod hat in der abendländischen Kunst eine lange Tradition. Merkmale, die mit dem weiblichen Körper identifiziert wurden, sind Liebe und Begehren, Wollust und Sünde, Verfall und Tod. Seit dem christlichen Sündenfall ist Eva zugleich die Verführte und Verführende, durch sie ist der Tod ins Leben gekommen. In den Totentänzen des 15. Jahrhunderts schufen die Renaissance-Künstler mit dem Paar Tod und Frau/Mädchen die Verbindung des Todes zur Sexualität. Angeblich weibliche Laster wie Eitelkeit, Hochmut, ausschweifende Sinnesfreude und Tanzlust wurden durch die Darstellung angeprangert.
Seit dem 15. Jahrhundert umgaben sich die Menschen mit Vanitas-Motiven, mit Gegenständen und Bildern, die die Vergänglichkeit des Lebens symbolisierten. Bei den Darstellungen stehen Alltagsgegenstände nicht nur für das, was sie auf den ersten Blick scheinen, sie bekommen eine höhere Bedeutungsebene. Vanitas-Stillleben entstanden in den barocken Niederlanden zu Zeiten des materiellen Überflusses. Typisch ist die provozierende, zweideutige Gegenüberstellung von vollem, satten Leben mit dem Tod oder Todesboten. Zum einen verlocken sie zum Genuss irdischer Freuden, andererseits tragen die genussbringenden Gegenstände, wie zum Beispiel überreifes Obst, bereits den Verfall in sich.
Das menschliche Skelett und vor allem der Totenschädel wurden im 16. Jahrhundert zu Symbolen der Eitelkeit und der Vergänglichkeit und somit zu beliebten Motiven der Vanitas-Darstellungen. Seit diesem Jahrhundert findet sich beispielsweise häufig auf Uhren ein kleines Abbild des Sense schwingenden Todes - ein Hinweis auf die Kürze des Lebens und die verrinnende Lebensdauer.
Bis ins 19. Jahrhundert war der Totenschädel ein beliebtes Motiv auf kleinen Andachtsbildern, auf Rosenkranzanhängern oder Uhren. Weitere gebräuchliche Vergänglichkeitssymbole, die auch auf (alten) Grabdenkmälern zu finden sind, waren die abgelaufene Sanduhr, der Spiegel, Seifenblasen oder die Kerze. Eine erlöschende Kerze steht unmittelbar für das Sterben, eine erloschene oder umgekippte für den Tod.

Artikel vom 29.10.2005