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Wahl wird zur Hängepartie

Kein Endergebnis am 18. September - Entscheidung in Dresden

Dresden (dpa). Die Entscheidung über einen Machtwechsel in Deutschland fällt möglicherweise noch nicht am 18. September. Der Bundeswahlleiter wird in der Nacht der Bundestagswahl ein vorläufiges amtliches Endergebnis ohne den Wahlkreis Dresden I veröffentlichen.

Dort wird später gewählt, weil die NPD-Direktkandidatin Kerstin Lorenz am Mittwoch gestorben ist. Angesichts eines erwarteten knappen Wahlausgangs könnte der Dresdner Wahlkreis den Ausschlag für die Regierungsmehrheit geben. Experten warnten vor einer Verzerrung des Ergebnisses.
Im Wahlkreis Dresden I (Wahlkreis 160) sind 219 000 Bürger wahlberechtigt. Bei der Bundestagswahl 2002 lieferten sich SPD und CDU dort wie in ganz Sachsen ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
Heinz-Christoph Herbertz, der Bürochef des Bundeswahleiters Johann Hahlen, sagte: »Es wird noch geprüft, in welcher Form in der Wahlnacht das vorläufige amtliche Endergebnis verkündet wird.« Die Entscheidung darüber werde voraussichtlich im Laufe der kommenden Woche bekannt gegeben.
In dem Dresdner Wahlkreis wurde die Abstimmung abgesagt, alle bisher abgegebenen Stimmen sind ungültig. Ein Termin für die Nachwahl stand zunächst noch nicht fest. »Wir wollen Zeitnähe, spätestens am ersten Oktober-Wochenende, vielleicht auch noch im September«, sagte die sächsische Landeswahlleiterin Irene Schneider-Böttcher in Dresden. Die Nachwahl muss nach den gesetzlichen Vorschriften spätestens sechs Wochen nach dem Tag der Bundestagswahl stattfinden.
Die NPD-Direktkandidatin hatte bei einer Wahlkampfveranstaltung einen Gehirnschlag erlitten, war ins Koma gefallen und gestorben. Damit ist nach Bundeswahlgesetz und -ordnung eine Nachwahl notwendig. In der Landesliste, auf der die 43-Jährige kandidierte, rücken die nachfolgenden Bewerber auf, sagte die Landeswahlleiterin. Die Dresdner NPD will am Mittwoch einen neuen Direktkandidaten bestimmen.
Die Linkspartei kündigte an, sie wolle juristisch erzwingen, dass die Nachwahl am 18. September stattfindet und nicht später.
Der Berliner Staatsrechtler Ulrich Battis sagte zum Problem der Veröffentlichung eines nicht kompletten Ergebnisses am Wahlabend: »Natürlich ist das eine Wahlbeeinflussung. Da wird in Dresden dann mancher anders wählen«, sagte Battis.
Auch der Mannheimer Wahlforscher Matthias Jung sieht eine mögliche Wahlverzerrung darin, dass die Dresdner Wähler bereits den Ausgang der Bundestagswahl kennen. »Ich betrachte das als ernsthaftes juristisches Problem«, sagte der Sprecher der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen.
Der Düsseldorfer Parteienrechtler Professor Martin Morlok meinte: »Die Veröffentlichung der Resultate kann die Wähler in Dresden beeinflussen. Aber das muss man in Kauf nehmen. Wahlen sind ein Massenereignis. Da kann man nicht überall ganz gleiche Bedingungen garantieren.«
Zwei Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, 1961 und 1965, hat sich das Endergebnis von Bundestagswahlen um einige Wochen verzögert, weil zuvor Direktkandidaten gestorben waren.
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Artikel vom 09.09.2005