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Auf dem Grund der Ostsee soll
Gas nach Deutschland strömen

Pipeline aus Russland - Vertragsunterzeichnung mit Schröder und Putin

Berlin/Moskau (dpa). Deutschland und Russland haben trotz erheblicher Bedenken aus Polen, der Ukraine und Weißrussland den Weg freigemacht für den Bau einer milliardenteuren Erdgas-Pipeline auf dem Grund der Ostsee.
Im Beisein von Russlands Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) unterzeichneten die Vorstandschefs der deutschen Energiekonzerne E.ON und BASF, Wulf Bernotat und Jürgen Hambrecht, sowie des russischen Gasprom-Konzerns, Alexej Miller, gestern in Berlin dazu eine Vereinbarung.
Schröder sprach von einem historischen Tag. Mit der Vereinbarung sichere sich Deutschland seine Energieversorgung in direkter Partnerschaft mit Russland auf Jahrzehnte. Mit Blick auf die Bedenken einiger ost- und mitteleuropäischer Länder betonte Schröder, die Zusammenarbeit richte sich gegen niemanden und diene russischen und deutschen Interessen. »Ich wüsste nicht, was daran falsch sein sollte.«
Putin sprach von einer neuen Qualität der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland auf dem Energiesektor.
Die mindestens vier Milliarden Euro teure Röhre soll von 2010 an Erdgas vom russischen Ostseehafen Wyborg bei St. Petersburg bis nach Greifswald befördern. Das Projekt stößt vor allem in Polen, der Ukraine und Weißrussland auf Kritik, die in der neuen Ostsee-Pipeline eine Konkurrenz zu ihren Landleitungen sehen und um ihre Einnahmen aus Transitgebühren fürchten. Der polnische Präsidentschaftskandidat Lech Kaczynski kündigt an, die künftige polnische Regierung werde den geplanten Bau der Ostsee-Pipeline erschweren.
Am Bau der 1200 Kilometer langen Pipeline sind die deutsche E.ON-Tochter Ruhrgas und die konkurrierende BASF-Tochter Wintershall mit jeweils 24,5 Prozent und der weltweit größte Erdgasförderer Gasprom mit 51 Prozent beteiligt. Die Leitung soll eine Transportkapazität von zunächst 27,5 Milliarden Kubikmeter und später 55 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr haben. Ursprünglich war die Unterzeichnung des Abkommens am 25./26. September bei deutsch-russischen Konsultationen im sibirischen Tomsk geplant. Wegen der Neuwahlen musste ein neuer Termin gefunden werden.
Energieexperten in Russland äußerten sich indes skeptisch über die Realisierung des Projekts. So sei etwa die Finanzierung zwischen Ruhrgas und Wintershall sowie Gasprom noch unklar. Zweifelhaft sei zudem, dass bei einer Fertigstellung 2010 überhaupt genügend Gas vorhanden sein werde, um derart gigantische Mengen durchzupumpen. Der Jahresverbrauch in Deutschland beläuft sich auf etwa 80 Milliarden Kubikmeter.
Deutschland will mit der neuen Pipeline seine Energieversorgung langfristig sichern und Russland hofft auf eine Ausweitung seiner Förderkapazitäten. Zudem hatte Moskau der Ukraine immer wieder vorgeworfen, illegal russisches Gas aus der Landpipeline für den Eigenbedarf abzuzweigen. Mit dem Bauprojekt sollen auch die aus russischer Sicht überzogenen Transitgebühren umgangen werden.
Putin traf am Nachmittag Unionskanzlerkandidatin Angela Merkel. Unionsfraktionsvize Wolfgang Schäuble kritisierte wie sein CDU-Kollege Friedbert Pflüger, Putin und Schröder hätten bei der Planung der Pipeline osteuropäische Länder übergangen. Er kündigte an, eine unionsgeführte Regierung wolle Polen und die baltischen Staaten an der Gaspipeline beteiligen.
Merkel sicherte Russland auch für den Fall eines Regierungswechsels in Deutschland freundschaftliche Beziehungen zu. Die strategische Partnerschaft mit Russland sei »ein wichtiger Punkt«, sagte sie nach dem Treffen mit Putin. Gleichzeitig bot die CDU-Vorsitzende an, Deutschland könne unter einer unionsgeführten Bundesregierung Motor für eine abgestimmte europäische Politik in Bezug auf Russland sein.
Trotz freundschaftlicher Beziehungen sei aber auch klar, dass kritische Fragen etwa zur Situation in Tschetschenien gestellt werden könnten.

Artikel vom 09.09.2005