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Kein Korb für den Rosenkavalier

Alle Parteien punkten im Straßenwahlkampf

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). »Nirgendwo erreicht man so viele Menschen wie auf der Straße«: Markt in Blomberg, Cajus Caesar (CDU) ist in seinem Element. Bis zur »Nacht der langen Tische« abends in Lemgo wird er noch hunderte Hände schütteln.

Ob die Grüne Britta Haßelmann auf dem Siegfriedplatz in Bielefeld, Ute Berg (SPD) im katholischen Delbrück oder Frank Schäffler (FDP) im Kreis Herford: Alle sammeln Stimmen - mit Geist, Witz und einem Schuss Verkaufstalent. Kugelschreiber, Einkaufschips oder eine Rose bieten sie Passanten an. Und siehe da, die Menschen sind ansprechbar, nehmen gerne den Steckbrief des Kandidaten. Wer wollte einen Rosenkavalier wie dem weißhaarigen Caesar (54) oder die freundlich grüßende grüne Landesvorsitzende Haßelmann abweisen?
Selbst politische Inhalte sind in den kurzen Gesprächen »drin«. Dass ausgerechnet die CDU für nachwachsende Rohstoffe eintritt, mag zunächst überraschen. Aber Caesar weiß, dass die Energiepreise den Menschen aufs Gemüt drücken. Er spricht über den Trend zur Holzfeuerung mit heimischen Energieträgern. Allein im Kalletal haben zuletzt 40 Haushalte ihre Heizkessel ausgetauscht, holen sich jetzt beim Förster einen Leseschein und kommen mit 200 bis 300 Euro über den Winter. Das kommt an.
»Im direkten Gespräch kriegt man vor allem mit, was die Bürger von der Politik halten«, sagt Haßelmann (44), die zuerst genau hinhört und dann »die Chance nutzt, Politik zu erklären«. Dabei ist die Stimmung nicht unbedingt himmelhoch jauchzend. Das führt die Bielefelderin auch auf die drei Wahlen für Europa, Kommune und Land zurück. Verdrossenheit gelte zum Glück nicht für ihre Parteifreunde, die an diesem Morgen gleichzeitig auch noch auf dem Ostmarkt für die Grünen die Stellung halten. Neben Haßelmann steht Klaus Rees, der hier für die Grünen ein Direktmandat zum Rat geholt hat - Heimspiel für beide.
Wo die Menschen sich und ihre Kandidaten kennen, ist der politische Gegenwind weniger ausschlaggebend. Auch nach 25 Jahren seien die Grünen immer noch die Partei, sagt Haßelmann, die sich mit den großen Zukunftsfragen befasst: Massenarbeitslosigkeit in Zeiten der Globalisierung, demographische Veränderungen, die ökologische Entwicklung des Landes, aber auch an Hand der Naturkatastrophen weltweit sowie - immer dabei - die Fragen der Migration und Integration.
Stärkstes Thema an diesem Markttag sind der Schutz regionaler Produkte und die Gentechnik. Schnell kommt man ins Gespräch über Bärbel Höhn und Renate Künast. Beide Politikerinnen seien den Menschen Inbegriff der Vorstellung von ökologischem Landbau und Verbraucherschutz.
Auch Ute Berg (52) von der SPD strahlt: Das Wetter ist gut, mit acht Genossen sind die im Delbrücker Land eher seltenen Sozialdemokraten mannstark vertreten und die Stehtische mit Sonneschirm genau zwischen Aldi und Lidl sind sogar in der Mittagszeit noch einigermaßen frequentiert.
Berg registriert mit dem sich zuspitzenden Wahlkampf ein gesteigertes Interesse an den Sachfragen. Natürlich begegnet sie überall auch denjenigen, die von Politik generell nichts wissen wollten. Besonders die gute Nachfrage nach dem SPD-Wahlmanifest, das griffbereit liegt, überrascht sie positiv. Der Parteitag in Berlin habe den Blick auf die Inhalte offenbar noch einmal geschärft. Manche Bürger suchten auch den Vergleich von CDU-Kopfpauschale und SPD-Bürgerversicherung.
Wie viele Hände sie schüttelt, wie viele Gespräche sie an einem Wochenende in den Innenstädten und vor den Verbrauchermärkten führt, die Abgeordnete weiß es nicht: »Ich komme oft gar nicht dazu, das alles zu zählen«. Und schon braust die Wahl-Paderbornerin mit ihrem tiefschwarzen VW-Beetle und knallroter »Ute«-Aufschrift zum nächsten Termin.
Ganz anders motorisiert kommt im Endspurt der Kandidat der Liberalen, Frank Schäffler (36), im Wahlkreis Herford daher. Mit einem riesigen US- Truck der Marke Mack macht er Dampf mit seiner Lieblingsparole »Vorfahrt für Arbeit«. Schäffler: »Gerade das heimische Speditionsgewerbe wird durch die Ökosteuer und eine mögliche Mehrwertsteuererhöhung doppelt belastet, ohne dass es in den sieben Jahren Rot-Grün an anderer Stelle entlastet wurde.«
Und nicht nur so ein Truck hat mächtig Durst, auch die Wähler müssen ziemlich schlucken, wenn es zur Tanke geht. Dort stand Schäffler gestern, nie um eine witzige Idee verlegen - nämlich an der Tankstelle Elverdissen. Das gewählte Motto war für den Ernst der Lage allerdings einen Tick zu heiter ausgefallen: »Frisch aufgetankt!«

Artikel vom 07.09.2005