06.09.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Im Blickpunkt: das Lächeln der Merkel

Moderatoren streckenweise abgemeldet - Am Tag danach die Stunde der Meinungsforscher

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Nach dem TV-Duell von Gerhard Schröders und Angela Merkel gaben die Sekundanten sofort die Schiedsrichter. Gefragter als Claqueure waren jedoch am Tag danach die Meinungsforscher.

Der Kanzler war für die meisten Deutschen vorher wie hinterher der Bessere im einzigen TV-Duell des verkürzten Intensiv-Wahlkampfs. Allein das Lächeln der Merkel konnte niemand in seiner Wirksamkeit so recht entschlüsseln. Die seit dem Tag ihrer Nominierung zur Kanzlerkandidatin gewandelte Wahrnehmung Merkels erhielt am Sonntag einen weiteren Schub. Dabei hatte sie auf ihre neue Trendfarbe Aprikot verzichtet und Schröders Dunkelgrau mit Dunkelblau egalisiert.
Schröder sei Punktsieger, dennoch bleibe eine Trendwende in der Wählerzustimmung aus, analysierte Forsa-Chef Manfred Güllner. Lediglich einige Unentschlossene kehrten nun zur SPD zurück.
Nach einer Emnid-Befragung für Sat1 noch am Sonntagabend hielten 57 Prozent Schröder für kompetenter, 56 Prozent für sympathischer, 46 Prozent für glaubwürdiger, 58 Prozent für selbstbewusster, und 65 Prozent meinten, dass er sich besser darstellen kann. Merkel dagegen hielten 34 Prozent für kompetenter, 34 Prozent für sympathischer, 38 Prozent für glaubwürdiger, 31 Prozent für selbstbewusster und 24 Prozent meinten, dass sie sich besser darstellen könne.
Ihren ganz eigenen Dreh verfolgten die »Spin doctors« in der roten Parteizentrale. Die SPD habe vor allem bei unentschlossenen Wählern gepunktet, hieß es dort. Die Riesenaufmerksamkeit für Schröder sei bestens geeignet, den zweistelligen Rückstand auf die Union noch aufzuholen. Jetzt solle vor allem dessen Führungsstärke herausgestellt werden, hieß es. Auf 15 000 Großflächenwänden will die SPD im Endspurt mit einem neuen Plakat ihren Spitzenmann mit den drei Eigenschaftsworten »kraftvoll, mutig, menschlich« aufwerten.
Die Union zielt dafür auf Schröders größte Schwäche und macht Druck in der Koalitionsfrage. Die in Hamburg geborene und in der DDR aufgewachsene Herausforderin Merkel will vor einem Zusammengehen von SPD, Grünen und Linkspartei massiv warnen.
Emnid rechnet damit, dass Merkel bei der am Donnerstag letztmalig vor der Wahl veröffentlichten Projektion einer Sonntagsfrage einen Prozentpunkt zulegen könnte. Die bereits vorher auf die SPD festgelegten Wähler sind nach Einschätzung der Meinungsforscher durch das Duell in ihrer Wahlabsicht bestärkt, die Anhänger der Union aber nicht verunsichert worden. Emnid-Geschäftsführer Klaus-Peter Schöppner meinte, Schröders »Kanzler-Bonus« habe sich durch das Duell »ein bisschen relativiert«.
Anders der Chef des Instituts Infratest dimap, Richard Hilmer. Er geht davon aus, dass der Wahlausgang nach dem TV-Duell nochmals spannend wird. Bei den noch unsicheren Wählern habe es nach ersten Trends eine leichte Bewegung in Richtung Schröder und SPD gegeben. »Die Bewegung deutet zumindest darauf hin, dass es knapper werden könnte als so mancher professioneller Beobachter bislang angenommen hat«.
Wie die SPD beanspruchte gestern auch die Union den Sieg beim Duell für sich. »Unsere Leute sind nach dem gestrigen Abend außerordentlich entschlossen, diesen Wahlkampf zu führen. Und das nehme ich als Ermutigung«, sagte Merkel. Neben einer schwarz-gelben Koalition hätten nur SPD, Grüne und Linkspartei eine Chance auf eine Mehrheit nach der Wahl. »Deshalb werden wir auch auf diesen Bereich das Gewicht in den nächsten Tagen der Debatte legen.«
Merkel war unmittelbar nach Eröffnung des Duells in die Offensive gegangen. Ohne eine Eingangsfrage der Journalisten abzuwarten, wandte sie sich Schröder zu, suchte Blickkontakt und begann eine Ölpreisdebatte. ARD-Moderatorin Sabine Christiansen fand es hinterher ganz »wunderbar«, dass ohne ihr Zutun plötzlich das Thema Steuern diskutiert wurde. Allerdings blieb ihr und den drei Mitstreitern, Maybrit Illner (ZDF), Peter Kloeppel (RTL) und Thomas Kausch (Sat1), auch gar nichts anderes übrig. Merkel formulierte viele Argumente in Frageform und drängte Schröder dadurch systematisch in die Defensive.
Am Ende waren die streckenweise abgemeldeten Moderatoren selbst überrascht, dass die beiden Kontrahenten fast bis auf die Sekunde genau die gleiche Netto-Redezeit erreicht hatten: Merkel sprach 37 Minuten und 5 Sekunden, Schröder exakt eine Sekunde länger.
Für den Berliner Politikberater und Medientrainer Richard Schütze wurde die CDU-Vorsitzende »Punktsiegerin« des Fernsehduells. Wegen Merkels nie wirklich aggressiver Attacken habe Schröder »nicht so richtig den Weg gefunden«, mit dieser »überraschend selbstbewussten, souverän und frei agierenden« Frau fertig zu werden. »Und man hat ihm angemerkt, dass er sich darüber geärgert hat.« Schröder »schaute sehr oft finster drein«, während Merkel ihr Lächeln dagegen stellte.
Ein Millionen-Publikum, das Schröder jahrelang als »unschlagbaren Medienkanzler« wahrgenommen habe, meinte Schütze weiter, könne sich nicht innerhalb von 90 Minuten mit der irritierenden Einschätzung abfinden, dass er nicht mehr der Punktsieger in einem TV-Duell sein könnte. »Gestern war Schröder es nicht.«

Artikel vom 06.09.2005