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Ein Küsschen war
der süßeste Lohn

Andre Agassi im Finale der US Open

New York (dpa). Ein paar Schritte entfernt feierten ihn die Fans noch immer. Andre Agassi aber hatte nur Augen für seine kleine »Prinzessin«. In den Katakomben des Arthur-Ashe-Stadions hockte er auf dem kalten Betonboden und nahm seine mit tapsigen Schritten auf ihn zu laufende Tochter Jaz Elle liebevoll in die Arme und bekam als schönsten Lohn ein Küsschen.
»Kinder können selbst einen schlechten Tag erträglich machen«, sagte der Tennis-Altmeister später und lächelte glücklich. Bei den US Open in New York erlebte die Familie Graf-Agassi zumeist schöne Stunden. Der älteste Profi des Turniers stürmte zum sechsten Mal ins Finale von Flushing Meadows, in dem Titelverteidiger Roger Federer in der Nacht zum Montag sein Gegner war.
Während Federer beim 6:3, 7:6 (7:0), 4:6, 6:3-Sieg über Lleyton Hewitt aus Australien mehr Mühe als erwartet hatte, gewann Agassi beim 6:4, 5:7, 6:3, 4:6, 6:3 über Landsmann Robby Ginepri das dritte Fünfsatz-Match in Serie, und dies ohne Rückenschmerzen.
Vier Cortison-Spritzen hatte sich der 35-Jährige in diesem Jahr für den Traum vom US-Open-Triumph geben lassen, die letzte im August. Das Kreuz mit dem entzündeten Ischias-Nerv hatte ihn den Start in Wimbledon gekostet. Aber täglich zwei Stunden Training im Kraftraum mit seinem Freund Gil Reyes haben den in 20 Jahren Profitennis geschundenen Körper wieder fit gemacht. »Fit wie nie«, versicherte Reyes.
Der bärtige Fitness-Coach, Patenonkel von Sohn Jaden Gil (4), arbeitet seit 16 Jahren mit Agassi. Eine lange Zeit mit Höhen und Tiefen. Von den Anfängen als Tennis-Pirat und rebellisches Pendant zum smarten Pete Sampras über die gescheiterte Ehe mit Hollywood-Schauspielerin Brooke Shields bis zum Absturz in der Weltrangliste, der am 10. November 1997 auf Platz 141 endete.
Mit Steffi Graf hat Andre Kirk Agassi 1999 sein Glück gefunden. Im Oktober 2001 heiratete das berühmte Tennis-Paar. »Meine Romanze mit ihr begann schon vor zwölf Jahren. Sie hat es nur nicht gemerkt«, sagte er schmunzelnd. Die 22-malige Grand-Slam-Siegerin ist bei seinen Spielen dabei, wann immer es geht. So auch in Flushing Meadows. »Jetzt wo die Kinder älter sind, ist alles schon viel entspannter«, sagte sie. Und dass sie Andre unterstütze, was er auch anfängt. »Ich rede ihm nicht rein. Er muss selbst wissen, ob er aufhört oder weiter macht.«
Wie man im richtigen Moment aufhört, hat sie ihm vor sechs Jahren eindrucksvoll vorgemacht. Auch Agassi hat sich mit dem Abschied beschäftigt. Aber: »Ich weiß nicht, wann das sein wird, und ich weiß nicht einmal, was die Gründe sein werden. Ich bin Tennisspieler, und ich werde das tun, so gut und so lange ich kann.«
Die Jagd nach Geld und Titeln ist für den Mann, der über 30 Millionen Dollar Preisgeld verdient hat, jedoch längst nicht mehr die Triebfeder. All die Erwartungen fielen ab, seit er eine Familie hat. Heute haben ganz andere Dinge Bedeutung: »Nie wird auf mir ein solcher Druck lasten, wie wenn ich meinem kleinen Mädchen die Fingernägel schneide.«

Artikel vom 12.09.2005