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Tausende von »Katrina«-Toten

Suche nach Überlebenden ist für die Retter ein Wettlauf gegen die Zeit

New Orleans (dpa). Eine Woche nach dem Hurrikan »Katrina« wird die Suche nach Überlebenden der Katastrophe im Süden der USA für die Retter zum Wettlauf gegen die Zeit.

Obwohl alle bis zur totalen Erschöpfung arbeiteten, werde für viele Menschen die Hilfe zu spät kommen, sagte ein Offizier der Küstenwache in New Orleans. US-Präsident George W. Bush, dessen Krisenmanagement scharf kritisiert wurde, besuchte gestern zum zweiten Mal die Katastrophenregion. In Baton Rouge (Louisiana) sprach er zu den Menschen.
Unklarheit herrscht weiter über die Zahl der Toten. Gesundheitsminister Michael Leavitt sprach als erstes Mitglied der Regierung in Washington davon, dass die Zahl der Toten »in die Tausenden geht«. Der Bürgermeister von New Orleans, Ray Nagin, geht in seiner Stadt von mehreren tausend Toten aus, die noch immer in den Häusern und Wohnungen lägen.
»Meine Jungs kommen in ein Haus und rufen mich an, dass ältere Leute im Bett liegen, heftig atmen und zu sterben drohen, und wir können nichts machen«, sagte Küstenwachen-Hauptmann Bruce Jones. »Wir erhalten Hilferufe, in denen es heißt: ÝWir brauchen Sie, in unserem Hospiz liegen zehn Tote.Ü Diese Leute haben wahrscheinlich gestern oder vorgestern noch gelebt.« Die Küstenwache appellierte an die Menschen, die noch in ihren Wohnungen ausharren, diese mit farbigen oder weißen Kleidungsstücken zu markieren.
Spezialisten gelang es in New Orleans unterdessen, einen auf knapp 100 Meter gebrochenen Damm am Kanal an der 17. Straße direkt am Pontchartrain-See zu reparieren. Es wird nach Expertenschätzungen bis zu drei Monate dauern, das Wasser aus dem Stadtgebiet abzupumpen.
In New Orleans und Umgebung durchkämmen jetzt Helfer die Straßen und Häuser nach Leichen. Aus Gebäuden der Stadt strömte starker Verwesungsgeruch. »Ich will die Leichen aus dem Wasser haben«, sagte Nagin, bevor Moskitos »Krankheiten in der ganzen Stadt verbreiten«. Die Einsatzkräfte fanden oft Familien, die in den eigenen vier Wänden ertrunken waren. Nationalgardisten und Soldaten gehen von Haus zu Haus, um die Einwohner notfalls zwangsweise aus der Stadt zu bringen. Nagin sagte, auch nach der Evakuierung von 50 000 Menschen könnten sich noch 60 000 Einwohner in den überfluteten Stadtteilen aufhalten.
Gesundheitsminister Leavitt warnte die Menschen vor Krankheiten, Seuchen und dem gefährlichen West-Nil-Virus. Das Virus wird von Mücken übertragen. Es kann besonders bei älteren und geschwächten Menschen Hirnhautentzündung auslösen.
In der größten Rettungsaktion in der Geschichte der Vereinigten Staaten hatte die US-Armee innerhalb eines Tages zehntausende Obdachlose aus New Orleans in Sicherheit gebracht. Die beiden größten Notunterkünfte, der Superdome und das Convention Center, sind geräumt. Vor den Absperrungen trafen allerdings weiterhin Hilfesuchende ein.
Eine Woche nach dem Hurrikan, der nach Angaben von Bush ein Gebiet so groß wie Großbritannien verwüstete, stehen die Behörden vor einer humanitären Katastrophe. Rund eine Million Einwohner in drei Bundesstaaten verloren ihr Zuhause. Die Gesamtschäden werden auf 100 Milliarden Dollar (80 Milliarden Euro) geschätzt.

Artikel vom 06.09.2005