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Acht Stiche keine Notwehr

BGH hebt Urteil auf - England liefert Paderborner aus

Von Christian Althoff
Paderborn (WB). Großbritannien hat einen Mann aus Paderborn ausgeliefert. Gary W. wartet jetzt in der JVA Bielefeld auf seinen Prozess. Er war 2002 vom Totschlags-Vorwurf freigesprochen worden, doch der BGH hat das Urteil aufgehoben.

Zu der Bluttat war es 2002 gekommen. Gary W. (21) hatte seine Ex-Freundin in ihrer elterlichen Wohnung aufgesucht, um sie dazu zu bewegen, zu ihm zurückzukehren. Die Frau lehnte das ab. Auf der Straße kam es dann zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Vater der jungen Frau und dem 21-Jährigen. Dabei war der ältere Mann mit einer Wasserwaage auf Gary W. losgegangen und hatte auf ihn eingeschlagen.
Der 21-Jährige zog ein Messer und stach auf den Angreifer ein. Drei Mal traf er den Mann in Bauch und Seite, fünf Mal in den Rücken. Das Opfer verblutete, weil ein Stich die Körperschlagader verletzt hatte.
Das Landgericht Paderborn sprach Gary W. frei. Da die Rechtsmediziner nicht klären konnten, der wievielte Stich der tödliche gewesen war, nahmen die Richter zugunsten des Angeklagte an, dass bereits der erste Stich die Schlagader verletzt hatte. Sie erkannten auf Notwehr und ließen Gary W. laufen. Die Staatsanwaltschaft Paderborn, die eine Verurteilung wegen Totschlags angestrebt hatte, ging in die Revision und hatte Erfolg. Der Bundesgerichtshof (BGH) war der Auffassung, dass, wenn der erste Stich bereits den Angriff abgewehrt hatte, die weiteren sieben Messerstiche nicht mehr von der Notwehr gedeckt seien. Für diesen »nicht mehr gerechtfertigten Teil der Handlung« komme deshalb eine Verurteilung wegen versuchten Totschlags oder gefährlicher Körperverletzung in Betracht, schrieben die Richter und verwiesen den Fall zurück nach Paderborn.
Das Gericht hatte zunächst Schwierigkeiten, Gary W. erneut vor Gericht zu stellen. Denn der 21-Jährige hatte sich mit Zustimmung seines Anwaltes nach dem Freispruch nach England abgesetzt. Die Staatsanwaltschaft hatte sogar ein Ermittlungsverfahren gegen den Anwalt eingeleitet, weil der Verdacht der Strafvereitelung bestand. Dieses Verfahren ist jedoch vor wenigen Tagen eingestellt worden, nachdem sich der Verdacht nicht erhärtet hatte und der Beschuldigten ausgeliefert worden war.
Srafverteidiger Dr. Sven Grotendiek, der Gary W. im zweiten Prozess vertreten wird, hofft auf einen erneuten Freispruch: »Der BGH ist nämlich nicht auf die Frage der Notwehrüberschreitung eingegangen. Nach Paragraph 33 des Strafgesetzbuches bleibt man straffrei, wenn man die Notwehr-Grenzen aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschreitet.«

Artikel vom 13.09.2005