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Gehölze symbolisieren Schutz

Grabblumen waren »Eigentum« der Verstorbenen

In der Dämmerung flackern die Kerzen der Grablichter und werfen Schatten auf die üppig bepflanzten und gut gepflegten Gräber. Für uns ein völlig normaler Anblick auf den Friedhöfen. Die Besucher früherer Jahrhunderte waren allerdings andere Bilder gewohnt.
Inmitten schöner Natur bietet das Grab eines Verstorbenen den Angehörigen einen realen Ort der Erinnerung.Foto: CMA
Bis ins 18. Jahrhundert herrschten auf den Friedhöfen nacktes Erdreich und Gras vor, gelegentlich gab es Nutzpflanzen wie Obstbäume, deren Ertrag dem Pastor oder den Totengräbern zustand. Dornige Sträucher oder schmucklose, steinerne Mauern umgaben den Friedhof zum Schutz gegen wilde Tiere.
Eine systematische Friedhofs- und Grabbepflanzung begann gegen Ende des 18. Jahrhunderts, zuerst aus hygienischen Überlegungen. Man befürchtete die Gesundheitsgefährdung der Dorfbewohner durch Verwesungsgerüche vom Friedhof. Deswegen begann man auf der dem Ort zugewandten Seite hohe Bäume wie Pappeln und Weiden zu pflanzen, die den Wind abfangen sollten. Auf dem Friedhof selbst wurden große Bäume vermieden, da sie die Luftzirkulation und den Lichteinfall hemmten. Dagegen empfahl man auf den Gräbern die Aussaat von Gras und Klee sowie die Bepflanzung mit niedrigen Sträuchern zur Luftreinigung.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts änderte sich das Erscheinungsbild vieler Friedhöfe. Individuelle Einzelgräber lösten die bisher üblichen Massengräber als vorherrschende Begräbnisform ab. Vor allem das zu Wohlstand gekommene Bürgertum fand Gefallen daran, die Grabstätten mit Denkmälern und Blumenschmuck zu verzieren. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts kam es vor allem auf den städtischen Friedhöfen in Mode, die einzelnen Gräber wie Miniaturgärten, auch »Totengärtchen« genannt, anzulegen.
Zunächst wurden für die Grabbepflanzung jene Blumen verwendet, die im Bauerngarten verfügbar waren. Erst die in Gewächshäusern gezogenen Pflanzen ermöglichten eine abwechslungsreichere und jahreszeitlich variierende Grabbepflanzung. Ihre Pflege ließ, soweit sie die Angehörigen nicht selbst übernahmen, den neuen Beruf des Friedhofsgärtners entstehen. Die Grabblumen waren das Eigentum des Verstorbenen und durften auf keinen Fall gepflückt werden. Im Zuge der gärtnerischen Umgestaltung wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die eisernen Grabgitter, die bisher die Einzelgräber der Toten voneinander getrennt hatten, durch natürliche Begrenzungen aus immergrünen Pflanzen wie Buchsbaum, Efeu und Lebensbaum ersetzt.
Viele der Pflanzen, die mit Vorliebe schon damals auf den Friedhöfen verwendet wurden, haben seit Jahrhunderten Symbolcharakter. Im Christentum ist die Lilie das Zeichen für Reinheit und Unschuld und steht für Maria, die Mutter Gottes. Auch Rosen sind die Blumen Marias, und ihre Dornen erinnern an die Dornenkrone Christi. Rote Rosenblätter symbolisieren die Wundmale von Christus am Kreuz. Rosen, vor allem die rote Rose, sind das Zeichen der Liebe, wohingegen eine geknickte Rose, ein häufiges Symbol an Grabdenkmälern, auf die Vergänglichkeit hinweist.
Mohn, der mit seinen üppigen Blüten Farbe auf die Grabstätte bringt, galt wegen seiner einschläfernden Wirkung schon in der Antike als Blume des Schlafes und des Todes. Gehölze wie Eibe, Wacholder und Holunder sind nicht nur als Rahmenbepflanzung sehr schön, sondern sie symbolisieren Schutz vor bösen Mächten. Dornen tragende Sträucher erinnern wie die Rosen an die Dornenkrone in der Passion Christi. Efeu steht wie Buchsbaum für ewiges Leben.

Artikel vom 29.10.2005