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Bewusster mit dem
Leben umgehen

Zeit des Stillstands und der Besinnung

Herbst - der Umbruch in der Pflanzenwelt macht die Vergänglichkeit allen Lebens bewusst und veranlasst viele Menschen, sich intensiver mit dem Gedanken an das Sterben auseinander zu setzen.Das Kreuz als Zeichen für neuen Mut. Über den Tod hinaus weist es den Menschen den Weg zum Leben.
Der November steht mit seinen Gedenktagen ganz im Zeichen des Erinnerns. Ein Besuch der Gräber verstorbener Angehöriger gehört zur Trauerbewältigung. Trauer wiederum ist eine der elementarsten Empfindungen eines Menschen, unabhängig von Herkunft oder Kultur. Jeder wird früher oder später mit Verlust konfrontiert, den er verarbeiten muss.
Trauern im Sinne eines nach außen getragenen Abschiedsrituals ist allerdings ein neuzeitliches Phänomen, das erst mit zunehmender Absicherung der materiellen Lebensverhältnisse möglich wurde. Im Mittelalter war ein Todesfall für den größten Teil der Bevölkerung ein lebensbedrohlicher materieller Verlust, vor allem, wenn der Ernährer der Familie betroffen war. Vorrang hatte die Sicherung der Existenzgrundlage, Abschiedszeremonien waren der fürstlichen Oberschicht vorbehalten. Im Zuge der Aufklärung und der zunehmenden Demokratisierung entstand im Bürgertum eine neue Art der Trauerkultur. Zum einen wurde Trauer durch das Entstehen der bürgerlichen Privatsphäre individualisiert, zum anderen wurde sie demonstrativ zur Schau getragen und als gesellschaftliches Ereignis verstanden.
Neben den kirchlichen Trauertagen entstand in diesem Zusammenhang auf Betreiben von König Friedrich Wilhelm III. der preußisch-protestantische Totensonntag, der ursprünglich an die Gefallenen der Befreiungskriege von 1816 erinnerte. Auch der seit 1919 begangene Volkstrauertag für die Soldaten des Ersten Weltkriegs ist säkularen Ursprungs und dient als Ventil des kollektiven Trauerns und des gesellschaftlichen Zusammengehörigkeitsgefühls.
Gerade heute, wo das tägliche »Funktionieren« eine intensive Auseinandersetzung mit dem Tod oft in den Hintergrund drängt, helfen feste Trauertage, nach innen zu blicken und vor dem Hintergrund der eigenen Vergänglichkeit bewusster mit dem Leben umzugehen. In Zeiten wachsender gesellschaftlicher Mobilität stellen die Gräber verstorbener Angehöriger einen wichtigen Bezugspunkt für den Einzelnen dar und geben Aufschluss über die eigenen familiären Wurzeln.

Artikel vom 29.10.2005