05.09.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Gruselszenen in »Totenstadt«

Nach Rettung der Überlebenden beginnt nun die Leichen-Bergung

New Orleans (dpa). Mit der Flut kam der Tod. Die Rettungskräfte in New Orleans erleben jetzt Gruselszenen in einer »Totenstadt«.

Die meisten Überlebenden des Hurrikans »Katrina« haben New Orleans verlassen. Sie wurden ausgeflogen, mit Schiffen und Bussen in Sicherheit gebracht. In Houston (Texas) erlebten die Neuankömmlinge eine nie da gewesene Welle der Solidarität. Tausende von freiwilligen Helfern halfen in den Notquartieren, teilten Nahrung, Wasser, Kleidung und Spielsachen aus. Nach Angaben des Roten Kreuzes sind bislang 94 000 Betroffene des Hurrikans in neun Bundesstaaten untergebracht worden.
In der Bürokratensprache beginnt nun die »Phase 2«. Nach der Evakuierung gingen die Mitarbeiter der Bundesagentur für Krisenmanagement daran, die auf den Straßen liegenden oder im Wasser treibenden Toten zu bergen, um den Ausbruch von Krankheiten zu vermeiden, sagt der für den Rettungseinsatz zuständige Militärkommandeur, General Russel Honore.
Für die Rettungs- und Bergungskräfte beginnt jener Teil, der besonders an Herz, Gemüt und Magen geht. Zu Beginn der Hilfsaktion schoben sie die Toten einfach beiseite, um die Lebenden zu retten. Sie markierten mit roten oder schwarzen Kreuzen die Häuser mit Opfern. Jetzt werden Türen zu Häusern aufgebrochen, um die in ihren eigenen vier Wänden elendig Ertrunkenen zu bergen.
Niemand weiß genau, wie viele Menschen allein in New Orleans der größten Naturkatastrophe in den USA zum Opfer gefallen sind. Seit Tagen sprechen Bürgermeister Ray Nagin und Gerettete von Dutzenden von Leichen, die durch die gefluteten Straßen treiben. Mehrere Tausend Menschen könnten gestorben sein, mutmaßt Gouverneurin Kathleen Blanco.
Weil über New Orleans eine Hitzeglocke von 30 Grad Celsius liegt und die Stromversorgung zusammengebrochen ist, sollen die geborgenen Leichen nach Angaben von Rettungskräften zuerst in Kühllastwagen zwischengelagert werden. Anderorts herrscht über den Tod hinaus der Notstand. Im Charity Krankenhaus stapelten sich die Toten im Leichenkeller bis unter die Decke. 200 Patienten wurden aus der Klinik gerettet, das am Ende eher einer Totenstation ähnelte. Erst brach die Stromversorgung zusammen. Dann gingen Wasser und Verpflegung aus. Der Tod machte selbst vor den großen Notquartieren in der Stadt nicht halt. Fast eine Woche hausten 40 000 Menschen unter unbeschreiblichen Umständen in den beiden größten Notunterkünften, dem Convention Center und dem Football-Stadion Superdome.
Keiner weiß, wann wieder Leben in die frühere Hauptstadt des Jazz am Ufer des Mississippi zurückkehren wird. Die Rettungskräfte rechnen damit, dass es bis zu sechs Monate dauern könnte, bis nach der Reparatur der Dämme das letzte Wasser abgepumpt worden ist.

Artikel vom 05.09.2005