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Viel Spaß mit Kultur
in Öl und Birkenrinde

Künstlerfreude über Zuspruch zu den »Offenen Ateliers«

Von Matthias Meyer zur Heyde und Hans-Werner Büscher (Foto)
Bielefeld (WB). Ratlos vor Gemälden oder Installationen stehende Bürger gab's hier nicht: Bei den Offenen Ateliers konnten 54 Künstler mit Kunstfreunden direkt ins Gespräch kommen, und beide Seiten machten davon ausgiebig Gebrauch.

Carpe diem, sagte sich Ralf Binnewies und nahm sich am Samstag und Sonntag, den beiden Tagen der Offenen Ateliers, eine Auftragsarbeit vor, bei der 90 Offsetdrucke von Hand mit Acrylfarben »nachbehandelt« wurden - so entstanden in Fleißarbeit 90 Unikate, und so konnten Besucher mal die Entstehung eines Werkes ganz unmittelbar verfolgen.
Binnewies' Atelier an der Hans-Sachs-Straße zog Kunstsinnige in Scharen an, denn seine großen Menschenmassenszenen in Öl faszinieren ungemein. »Mein Blick ist die Draufsicht, und nach Möglichkeit lasse ich auf einem Bild konkrete Details unmerklich ins Abstrakte hinübergleiten«, erklärt der 48-Jährige und weist auf seinen »Opernball«, bei dem Einzelporträt und Reduktion auf weiße, schwarze und rote Flecken -Ê Hemd, Smoking, Abendkleid - harmonieren.
Einsamer Torero vor erwartungsvollem Publikum, weltliche Prominenz hinter purpurnen Kardinälen bei der Beerdigung Johannes Pauls II., aggressive Journalisten in der Pressekonferenz mit Joschka Fischer, Siegerehrung nach dem Boxkampf, während das Publikum schon abwandert: Die Besucher bekamen viel zu sehen, sie wollten vieles wissen, und Binnewies gab gerne Auskunft.
»Ein besonderes Lob ist es, wenn mir arrivierte Künstler sagen: Du bist auf dem richtigen Weg.« Wie jeder in der Szene weiß auch Binnewies natürlich um die Zauberkraft von Kompromissen: Für eine Ausstellung, in der eigentlich der Mensch(enauflauf) im Zentrum stehen sollte, »sollte ich auch etwas leichter zu rezipierende Motive gestalten.« Weiße Rosen, roter Mohn . . .
Dann stand plötzlich ein befreundeter Künstler aus Paris im Atelier, eigentlich wegen der großen Schau von »Artists Unlimited« in der Stadt, und so zeigte sich der Sinn und Zweck der Offenen Ateliers ganz unmittelbar: »Wir wollen Gleichgesinnte treffen, Kontakte knüpfen und vertiefen und neue Arbeiten vorstellen«, sagte Jutta Börger, die die ganz Bielefeld umspannende Schau seit drei Jahren organisieren hilft. In ihrem Atelier an der Mittelstraße entstehen derzeit bevorzugt Objekte aus Birkenrinde, einem sensiblen, mal kompakt-opaquen, mal transparent-leichtem Material, »das fast meditative Zustände beim Arbeiten ermöglicht.«
Von seiner Kunst kann so recht niemand der 105 Mitglieder bei den Offenen Ateliers leben; Jutta Börger führt unter anderem Schüler an die Kunst heran und weiß, wie man Öffentlichkeit herstellt. Mit Erfolg: »Ich benutze ganz gezielt das handliche Info-Heftchen, um mir einen Überblick über die Bielefelder Kunstszene zu verschaffen«, sagte Engela Nicolai, die von der Vielfalt der Talente und Stile am Teuto angenehm überrascht war.
Nichts Provinzielles also bei den Offenen Ateliers. Und die Künstler entwickeln sich weiter - was im vergangenen Jahr noch typisch war, ist heuer passé. Helga Zumholte beispielsweise hat bis vor wenigen Monaten gegenstandslose Farbflächen geschaffen, »aber jetzt finde ich Kinderporträts am spannendsten.« Die studierte Textildesignerin folgt nicht akademisch ausgetretenen Pfaden, denn »Mimik und Gefühl sind mir wichtiger als jede Anatomie.«
Die unter dieser Prämisse entstandenen Kleinformate, malerische Umarmungen der eigenen Kinder, der Kleinen aus der Nachbarschaft und dem Bekanntenkreis, sind ein echter Hingucker. »Gelegentlich male ich auch nach Auftrag«, sagt Helga Zumholte, und wessen Interesse an einem liebevollen Porträt jetzt geweckt ist (Tel.: 12 22 77), der sollte etwa 300 Euro erübrigen können.
Bielefeld scheint ein gutes Pflaster für die Kunst zu sein, wenn man die 100 Atelierbesucher Samstag und 200 am Sonntag zum Maßstab nimmt. Vielleicht könnte man Kultur- und Sportsfreunde ja zusammenführen: Im nächsten Jahr möchte Virbi Staar, eine Freundin von Jutta Börger, eine Nordic-Walking-Route von Künstler zu Künstler offerieren.

Artikel vom 05.09.2005