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»Visionen aus dem 19. Jahrhundert«

Alice Schwarzer hält Kanzlerehefrau »rückständiges Frauenbild« vor

Köln (dpa). Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer hat Kanzlerehefrau Doris Schröder-Köpf ein »rückständiges Frauenbild« vorgeworfen.
»Es ist unerhört, dass die Kanzlergattin es wagt, die Kanzlerkandidatin Angela Merkel anzugreifen, weil sie keine Kinder hat. Wo sind wir eigentlich? Im 19. Jahrhundert?«, sagte Schwarzer am Freitag in Köln. Die Ehefrau von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte erklärt, Unions-Kanzlerkandidatin Merkel habe als Kinderlose nicht genug Einblick in die Probleme berufstätiger Mütter.
»Sie beleidigt damit Millionen Frauen - und fällt weit hinter die Frauenpolitik ihrer eigenen Partei, ja sogar hinter die der CDU zurück«, meinte die Herausgeberin der Frauenzeitschrift »Emma«. Das Frauen- und Männerbild Schröder-Köpfs sei »arg antiquiert« und schade ihrem Mann kurz vor der Wahl. Sie plädiere offenbar für eine Republik, in der »Frauen im trauten Heim die Familie zusammenhalten und die Männer in die Welt hinaus ziehen«, kritisierte sie. »Was sagt eigentlich ihr Mann, wenn seine Frau auf dem Höhepunkt des Wahlkampfes derartige Visionen aus dem 19. Jahrhundert als zukunftsweisend verbreitet?«
Doris Schröder-Köpf hatte gesagt: »Angela Merkel verkörpert mit ihrer Biografie nicht die Erfahrungen der meisten Frauen. Die beschäftigt, wie sie Familie und Job unter einen Hut bekommen, ob sie nach der Geburt für mehrere Jahre aussteigen wollen oder wie sie ihre Kinder am besten erziehen. Das ist nicht Merkels Welt.« Schwarzer: »Wenn die Kanzlergattin trotz qualifizierten Berufs lieber Hausfrau ist, ist das ihre Sache. Niemand würde sich erlauben, sie deswegen persönlich zu kritisieren.« Moderne Mütter und Väter wollten beides: Beruf und Kinder.
»Beim Papst kann die Bayerin im Dirndl vielleicht mit so etwas punkten«, sagte Schwarzer. »Aber Millionen Frauen werden sich über ihr so rückständiges Frauenbild ärgern, auch und gerade die Mütter.« Für moderne Mütter seien Kinder wichtig, aber kein »Schicksal« mehr.

Artikel vom 03.09.2005