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Angela Merkel macht mit »Umsteuern« ernst

Händler und Gastwirte gegen höhere Mehrwertsteuer

Von Bernhard Hertlein
Bielefeld (WB). Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) wundert sich: Er werde im Wahlkampf derzeit kaum noch auf die von Kanzlerkandidatin Angela Merkel vorgeschlagene Mehrwertsteuer-Erhöhung angesprochen.

Wer Zeitungen liest oder die Berichterstattung im Fernsehen beobachtet, könnte einen anderen Eindruck haben. Vor allem Vertreter des Handels, der Gastronomie und des Handwerks haben die geplante Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes von 16 auf 18 Prozent sofort nach Bekanntwerden unter Trommelfeuer genommen. Ins gleiche Horn stößt die SPD - obwohl unter anderem Rüttgers. Vorgänger Peer Steinbrück schon mal einen ähnlichen Vorschlag gemacht hat. Am schwersten tut sich die FDP: Prinzipiell gegen jede Steuererhöhung will sie doch den Wahlkampf nicht mit einem Streit der künftigen Koalitionäre belasten.
Dass Handel, Gastronomie und Handwerk aufbegehren, kommt nicht von ungefähr. Thomas Keitel, Hauptgeschäftsführer des regionalen Fachverbandes Dehoga in Ostwestfalen, nennt die Steuererhöhung »Gift«. Es sei völlig ausgeschlossen, dass Gastwirte und Hoteliers sie an die Kunden weiterreichen könnten.
Dieser Teil der Wirtschaft hat natürlich seine Erfahrungen mit Verbraucherreaktionen gemacht. Die Diskussion um den »Teuro« führte fast zu einem Käuferstreik. Seit vier Jahren leiden Handel und Gastgewerbe unter der stagnierenden Nachfrage.
Allerdings, und hier muss der Denkprozess ansetzen, verlaufen ähnliche Prozesse in der Wirtschaft schon deshalb niemals genau gleich ab, weil sie mindestens zur Hälfte von der Psyche bestimmt werden. Warum hält sich die ÊBörse in Deutschland sonst seit Wochen auf der Sonnenseite, obwohl die fundamentalen Daten dazu überhaupt keinen Anlass geben? Und warum sind die Verbraucher plötzlich besserer Stimmung, obwohl die Benzinpreise gen Himmel stürmen?
Viel wird davon abhängen, ob die Menschen in Deutschland wieder mit mehr Optimismus in die Zukunft sehen. Wenn sie fühlen, dass ihr Arbeitsplatz sicherer ist, und wenn sie sehen, dass die Unternehmen wieder investieren, dann ist es nicht mehr so wichtig, ob ein T-Shirt im Sonderangebot 5,00 Euro kostet oder 5,10 Euro.
Vertrauen entsteht nicht durch schöne Worte, sondern durch Taten. Dazu reicht die angekündigte Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um zwei Prozentpunkte allein sicher nicht aus. Wichtig ist, dass die Senkung der Lohnnebenkosten weder durch einen völligen sozialen Kahlschlag noch durch neue Schulden finanziert wird. Im letzteren Fall kann sich die jüngere Generation glücklich schätzen, dass dies heute schon durch den Maastricht-Vertrag verhindert wird.
Zugegeben: Rentner und Hartz IV-Empfänger erhalten für ihren Verlust durch die höhere Mehrwertsteuer keinen Ausgleich. Deshalb ist es wichtig, dass der verminderte Mehrwertsteuersatz für wichtige Güter nicht angetastet wird.
Zugegeben: Die Steuererhöhung wird bei teuren Produkten wie Möbel oder Autos dazu führen, dass die Nachfrage zunächst angeheizt und dann stark abgebremst wird. Aber wenn es richtig ist, von den lohnbelastenden auf die indirekten Abgaben umzusteuern, muss irgendwann ein Anfang gemacht werden.
Die Bevölkerung hat das verstanden. Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner von TNS Emnid meint sogar, dass die Ankündigung Angela Merkel nützen wird: endlich eine Politikerin, die die Opfer vorher benennt.

Artikel vom 03.09.2005