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Bürokraten gefährden Hort

Private Betreuungseinrichtung beklagt zu strenge Auflagen

Von Christian Althoff
Bad Salzuflen (WB). In Deutschland fehlen 230 000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren. Zwei Frauen haben sich deshalb selbständig gemacht und in Bad Salzuflen die Kinderbetreuung »Zwergenland« eröffnet. Doch der droht nun wegen bürokratischer Hemmnisse das Aus. Betroffen sind berufstätige Eltern, die nicht wissen, wer sich künftig um ihre Kleinen kümmert.
Marielle Küppers (36) mit ihrer Tochter Amy.

Mit Genehmigung des Landesjugendamtes hatten die Erzieherin Özlem Dogu (29) aus Hiddenhausen und die Tagesmutter Gabi Staupenpfuhl (30) aus Bad Salzuflen im April 2004 im Zentrum der Kurstadt ihr »Zwergenland« eröffnet - zwei helle Spielzimmer, ein Ruheraum, eine Teeküche und ein kleiner Garten mit Sandkasten und Rutsche. »Wir wollten Eltern entlasten, damit sie in Ruhe einkaufen oder zum Arzt gehen können«, erzählt Gabi Staupenpfuhl Geöffnet ist das »Zwergenland« von 8 bis 18 Uhr, maximal drei Euro kostete die Betreuung von Kindern zwischen zwei und acht Jahren pro Stunde. Öffentliche Zuschüsse bekommt die Einrichtung nicht.
Als immer mehr Mütter fragten, ob die Frauen nicht auch jüngere Kinder aufnehmen könnten, beantragten die beiden Frauen beim Landesjugendamt eine neue Betriebserlaubnis - »und die gefährdet jetzt unsere Existenz, weil die Auflagen nicht zu finanzieren sind«, sagt Özlem Dogu. Die neue Genehmigung schreibt vor, dass sich nicht mehr als acht Kinder gleichzeitig im 83 Quadratmeter großen »Zwergenland« aufhalten dürfen, was von den beiden Betreiberinnen akzeptiert wird. Nicht nachvollziehen können sie allerdings, dass sie nur mit höchstens 20 Eltern einen Betreuungsvertrag abschließen dürfen, und dass vom sechsten Kind an eine zweite sozialpädagogische Fachkraft anwesend sein muss (oder im Fall von einjährigen Kindern bereits ab dem dritten Kind). »Nach dieser neuen Betriebsgenehmigung zählt meine Anwesenheit überhaupt nicht«, sagt Gabi Staupenpfuhl, die keine Sozialpädagogin ist. Sie hatte bei der AWO eine Tagesmutterausbildung gemacht und ist vom Jugendamt ermächtigt, bei sich zu Hause jederzeit fünf Kinder zu betreuen - ohne Altersbeschränkung.
Özlem Dogu: »Wenn wir eine weitere Sozialpädagogin einstellen, sind wir nach einem Monat pleite.« Auch die Beschränkung auf 20 Betreuungsverträge mache wirtschaftliches Arbeiten unmöglich: »Wenn wir darauf achten, dass wir nicht mehr als acht Kinder gleichzeitig betreuen, sollte es dem Landesjugendamt doch egal sein, wie viele Eltern unseren Service beanspruchen!«
Kerstin Mehrspann (30) arbeitet als Realschullehrerin in Herford und nutzt das »Zwergenland« seit zwei Monaten: »Meine Tochter Hannah ist 17 Monate alt, und ich benötige an drei Vormittagen eine Betreuung.« Einmal in der Woche nehme ihre Mutter das Kind, an zwei Tagen bringe sie Hannah ins »Zwergenland«: »Sie geht gerne dort hin, und es tut ihr gut. Hannah ist bestens aufgehoben, sie kommt mit gleichaltrigen Kindern zusammen, und die Betreuungszeiten passen sich meinem Bedarf an«, sagt die 30-Jährige. Für einen Platz in einem städtischen Hort hätte die Familie 308 Euro im Monat aufbringen müssen - unabhängig davon, wie oft Hannah dort hingegangen wäre.
Auch Marielle Küpper (36) aus Bad Salzuflen ist auf das »Zwergenland« angewiesen, weil sie sonst ihren Job aufgeben müsste. Sie arbeitet als Geschäftsführer-Assistentin bei einem Möbelhersteller in Harsewinkel, »und es war schwer genug, meinen Chef davon zu überzeugen, mich nach der Geburt meiner Tochter als Halbtagskraft zu beschäftigen«, sagt sie. Einmal in der Woche ist die 15 Monate alte Amy bei ihrer Großmutter, an zwei Tagen wird sie im »Zwergenland« betreut. »Sie fühlt sich dort sehr wohl und macht große Fortschritte. Was will man als Mutter mehr?«, fragt Marielle Küpper, die die drohende Schließung des »Zwergenlandes« »bürokratischen Irrsinn« nennt.
Markus Fischer, Sprecher des Landesjugendamtes in Münster, erklärte, für seine Behörde stehe das Wohl der Kinder an erster Stelle. »Wenn wir dem Zwergenland mehr als 20 Betreuungsverträge zugestehen, wechselt die Zusammensetzung der Gruppe ständig.« Damit sei eine vernünftige pädagogische Arbeit nicht möglich, und das »Zwergenland« werde zu einer reinen Verwahranstalt.
Bad Salzuflens Bürgermeister Dr. Wolfgang Honsdorf will jetzt alle Beteiligten an einen Tisch holen: »Die Betreuung von Kleinkindern ist eine ganz wichtige Sache. Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um im Interesse der Mütter zu einer Lösung zu kommen.« Seite 4: Kommentar

Artikel vom 03.09.2005