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CSU-Außenpolitiker Karl-Theodor zu Guttenberg

»Eine privilegierte Partnerschaft ist besser als eine
unterprivilegierte
Mitgliedschaft.«

Leitartikel
Wahlkampfthema Türkei

Der Zustand
der EU wird
ausgeblendet


Von Dirk Schröder
Zwei Wochen vor der Bundestagswahl eskaliert der Streit über die Türkei. Abgesehen davon, dass es von Ankara nicht besonders klug ist, die Position der Union als »unrechtmäßig und unmoralisch« zu bezeichnen - wahrscheinlich steht man sich am 3. Oktober ja als Verhandlungspartner gegenüber -, ist es richtig, dass CDU und CSU dieses Thema auch im Wahlkampf noch einmal aufgegriffen haben.
Denn: Es geht nicht darum, an- ti-türkische Stimmung zu verbreiten, und auch nicht darum, ob die Türkei formal alle Bedingungen erfüllt für den Beginn der Gespräche. Es geht schlicht darum, ob die Europäische Union überhaupt in der Lage ist, einen weiteren Staat dieser Größe zu integrieren.
Nach heutigem Stand kann die EU es nicht. Und ob dies in zehn, 15 Jahren möglich sein wird, auch dahinter steht ein dickes Fragezeichen. Deshalb ist es unverantwortlich, die Verhandlungen ergebnisoffen aufzunehmen: Rein in die EU oder draußen bleiben. Zwischenlösungen werden von der Noch-Bundesregierung überhaupt nicht in Erwägung gezogen.
Es sind allein Angela Merkel und die Union, die völlig zu Recht immer wieder darauf verweisen, dass die privilegierte Partnerschaft der bessere Weg ist - im beiderseitigen Interesse wohlgemerkt. Wenn Außenminister Joschka Fischer die Unions-Kanzlerkandidatin deswegen als »gefährlich blind« abkanzelt, spricht das nicht von Weitsicht und blendet aus, wie es derzeit um die Europäische Union steht.
Der Integrationsprozess in Europa ist, gelinde gesagt, ins Stocken geraten. Die Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden über die Verfassung belegen dies. Das war keine Ab- sage an den europäischen Gedanken, vielmehr sind damit Fehler der Vergangenheit bestraft worden. Der europäische Verfassungsprozess kommt erst wieder in Gang, wenn die Bürger vom Nutzen Europas überzeugt werden. Der Hinweis auf eine Vollmitgliedschaft der Türkei muss dabei nicht unbedingt hilfreich sein.
Niemand bestreitet, dass ein verlässlicher Partner Türkei langfristig der Sicherheit Europa nützt. Auch hat Ankara in den vergangenen Jahren Fortschritte gemacht. Es gibt aber nicht nur Vorbehalte in Europa, auch in der Türkei selbst ist eine Anti-EU-Stimmung noch deutlich fühlbar. Die Bereitschaft, nationale Souveränität aufzugeben, ist trotz anderer Aussagen nicht sehr ausgeprägt.
Folglich ist es »gefährlich blind«, wenn die Europäer die Tür- kei auf eine Reise der Hoffnungen schicken, an deren Ende dann ein »Nein« steht. Denn im Verhandlungsmandat ist das Scheitern ausdrücklich vorgesehen. Theoretisch kann dies sogar sehr schnell passieren, wenn schon in der er- sten Verhandlungsphase Zweifel an der Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit auftauchen. Über den politischen Schaden in diesem Fall hat Joschka Fischer offenbar keine Sekunde nachgedacht.
Warum also eine privilegierte Partnerschaft ausschließen?

Artikel vom 03.09.2005