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Nur der Kapitän redet Klartext

Klinsmann lächelt, Ballack schimpft: So kann es nicht weitergehen

Bratislava (dpa). In zwei Mal 90 Minuten haben Deutschlands Nationalspieler die Euphorie aus dem Confederations Cup zunichte gemacht und wieder große Zweifel an einer erfolgreichen WM geschürt. Mit hängenden Köpfen und dem Ruf nach einer Aussprache verließen sie nach der 0:2-Pleite in Bratislava den Ort des Trauerspiels.
Nur Jürgen Klinsmann behielt wie schon nach dem 2:2 in den Niederlanden sein sonniges Gemüt. »Wir lassen uns das Lächeln nicht nehmen, auch wenn wir ein Spiel vergeigen«, sagte der Bundestrainer, in dessen Augen das wie schon in Rotterdam trostlose Gekicke seiner orientierungslos wirkenden Truppe keinen Grund zu größerer Besorgnis darstellt.
»In keiner Weise«, antwortete Klinsmann auf die Frage, ob man das propagierte Ziel »Weltmeister« neun Monate vor dem WM-Start abschreiben müsse: »Es war ein kleiner Dämpfer, aber damit werden wir fertig. Wir müssen das jetzt schlucken.« Michael Ballack aber wollte angesichts der Tatsache, dass die Elf gegenüber den Darbietungen bei der Mini-WM mehr wiederzuerkennen ist, nicht so einfach zur Tagesordnung übergehen. »Es ist ein Rückschritt im gesamten Spiel. Wir spielen nicht mehr so erfolgreich und nicht mehr so zwingend nach vorne«, erkannte der Kapitän die grundlegenden Mängel und forderte umgehend Konsequenzen: »Wir müssen uns ernsthaft zusammensetzen und darüber nachdenken, wie wir die nächsten Spiele angehen.«
Für klärende Worte bleibt bis zum Test gegen Südafrika am Mittwoch in Bremen genügend Zeit. Dann dürfte auch Klinsmanns waghalsig anmutende Personalpolitik intern zur Sprache kommen. In der Vergangenheit zahlte sich sein Mut zu riskanten Startformationen vielfach aus, in Bratislava aber hatte sich der Wahl-Kalifornier total verzockt. In Thomas Hitzlsperger, Bernd Schneider und Gerald Asamoah spielten drei Profis auf anderen Positionen als im Verein -ĂŠobendrein bestätigten alle drei in der Partie ihre nicht überzeugenden Trainingseindrücke. Im Gegensatz dazu mussten die Hoffnungsträger Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger ebenso wie die Neulinge Marcell Jansen und Lukas Sinkiewicz in der entscheidenden ersten Spielhälfte auf der Bank schmoren.
»Die Anfangsformation war sehr wohl durchüberlegt«, verteidigte Klinsmann seine Wahl. Es wäre »schon aus psychologischer Sicht falsch gewesen«, die Youngster von Beginn an aufzubieten: »Wir machen einen Schritt nach dem anderen und lassen uns nicht verleiten.« Auch den Vorwurf, angesichts von nun nur noch sechs Länderspielen bis zur Benennung des WM-Kaders zu sehr zu experimentieren, wies der Bundestrainer zurück. »Die Zeit läuft uns nicht davon«, sagte Klinsmann, schließlich habe sich in der Mannschaft bereits ein Gerüst gebildet.
Davon war in der Slowakei allerdings nichts zu sehen, vor allem im Defensivverhalten fehlte jeglicher Zusammenhalt. »Es war einfach gegen die deutsche Abwehr, sie war nicht in Ordnung«, sagte der zweifache Torschütze Miroslav Karhan und legte damit den Finger in die Wunde. Klinsmanns Abwehr sei international nicht konkurrenzfähig, urteilte der Profi des VfL Wolfsburg.
Ob die deutsche Elf nach den verpatzten Auftritten in Rotterdam und Bratislava am Mittwoch in Bremen den verlorenen Faden wieder findet, wird sich zeigen. Die Südafrikaner könnten ein dankbarer Aufbaugegner sein: Der WM-Gastgeber 2010 hat am Samstag mit einer 1:3-Pleite in Burkina Faso sein WM-Ticket praktisch verspielt und ist dementsprechend frustriert. So einfach, wie es sich der 19-jährige Gladbacher Jansen in seiner jugendlichen Unbekümmertheit ausmalte, wird es aber nicht: »Wir können alles wieder gut machen gegen Südafrika.«

Artikel vom 05.09.2005