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Stadt New Orleans ist am Ende

Polizeichef spricht von Chaos - Einwohner bewaffnen sich gegen Plünderer

New Orleans (WB/Reuters/dpa). »Ich kann mir nicht vorstellen, noch einmal dorthin zurück zu kehren. Ich weiß auch gar nicht, wie das gehen soll. All die Häuser, die bis zum Dach unter Wasser stehen.« Resigniert spricht Cornelia Balke über die Stadt, in der sie jahrelang mit ihrer Familie gelebt hat.
Zurückgebliebenen steht das Wasser bis zum Hals.

Die Deutsche hat mit ihren beiden schulpflichtigen Kindern noch rechtzeitig vor dem Hurrikan »Katrina« die Flucht aus dem nun im Wasser versinkenden New Orleans geschafft. Bei Freunden in der Stadt Baton Rouge hat sie Unterschlupf gefunden. Ihr Mann, ein Arzt, und der Familienhund sind noch in der einstigen »Perle von Louisiana«. »Unser Haus ist etwas höher gelegen. Aber auch er kann nur mit einem Boot herausgeholt werden. Ich hoffe, er kommt bald. Ärzte werden hier gebraucht«, sagte sie gestern im Radio.
Zwei Tage nach der Naturkatastrophe auch gestern kein Schimmer von Entspannung - im Gegenteil. Weil Dämme gebrochen sind, die New Orleans vom See Pontchartrain her schützen, die Pumpen wegen des Stromausfalls nicht mehr arbeiten, ist die unter dem Meeresspiegel gelegene Stadt inzwischen zu fast 100 Prozent vollgelaufen - wie eine Suppenschüssel.
Verzweifelt versuchen Behörden und Rettungsmannschaften, die chaotische Lage in den Griff zu bekommen. Ihre Suche nach Überlebenden führt sie durch Trümmerlandschaften und metertief abgesoffene Straßen. Mehr als fünf Millionen Menschen im Katastrophengebiet sind ohne Strom, eine Million obdachlos. Es fehlt an frischem Wasser, Nahrung, medizinischer Versorgung.
Besonders schwer betroffen von den Verwüstungen durch »Katrina« ist der Süden des Staates Mississippi. Dort überschwemmte eine zehn Meter hohe Flutwelle weite Teile der Küste entlang Biloxi und Gulfport. 90 Prozent der Gebäude an der Küste der beiden Städte sind zerstört. Der Gouverneur von Mississippi, Haley Barbour, sagt, dort sehe es aus, »wie in Hiroshima, als ob eine Atombombe explodiert wäre«. Wie hoch die Zahl der Todesopfer ist? Noch immer kann es niemand auch nur schätzen. Von mindestens 100 ist allein in Mississippi die Rede. »Aber die Zahl könnte sich noch verdoppeln oder verdreifachen«, glaubt ein Sprecher des Katastrophenschutzes. »Angesichts der Zerstörung, die ich gesehen habe, denke ich, einige Menschen werden wir nie mehr finden«, befürchtet Biloxis Bürgermeister A.J. Holloway nach einem Hubschrauber-Flug über seine Stadt.
In tiefen Teilen von New Orleans steht das Wasser bis zu sechs Meter hoch. Ein erster Versuch, den Damm zum See zu reparieren, scheiterte. Senatorin Mary Landrieu sagte, sie habe von 50 bis 100 Todesopfern in der Stadt gehört. Doch dort waren die Helfer so sehr mit der Rettung von Überlebenden beschäftigt, dass sie nicht dazu kamen, die im Wasser treibenden Leichen zu bergen. Schon wurde von einem knapp einem Meter langen Hai berichtet, der durch die Stadt geschwommen sein soll. Jetzt ruhen die Hoffnungen darauf, dass sich das Wasser des Sees in den nächsten anderthalb Tagen auf Normalpegel zurückzieht, somit der Überlauf endet.
Plünderer nutzten aus, dass sich die Polizei zuerst auf die Rettung von Überlebenden konzentrierte. »Die Lage ist eskaliert«, sagte gestern Bürgermeister Ray Nagin, doch die Polizei bringe sie nun unter Kontrolle. Schon vorher ergriffen in einigen Vierteln bewaffnete Einwohner die Initiative. Wo es trocken war, saßen Ladenbesitzer mit Waffen in der Hand vor ihren Geschäften. Einer von ihnen hatte ein Schild aufgestellt: »You loot, I shoot« (»Du plünderst, ich schieße«). 3500 Nationalgardisten wurden zur Unterstützung entsandt. »Es herrscht derzeit ein großes Chaos«, gestand Polizeidirektor H.L. Whitehorn ein.

Artikel vom 01.09.2005