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Opfer verklagt
Stiftung auf
Schmerzensgeld

Zivilrichter will gütliche Einigung

Von Christian Althoff
Werther (WB). 140 geistig oder seelisch kranke Menschen werden in der »Waldheimat Werther« (Kreis Gütersloh) betreut. Einer der Bewohner zündete vor drei Jahren während eines Ausgangs einen Mann an, der gerade sein Auto betankte. Seit gestern befasst sich das Landgericht Bielefeld mit der Frage, ob dem schwerverletzten Opfer Schmerzensgeld zusteht.

Der 9. September 2002 war der Tag, der das Leben von Jürgen L. veränderte. Der frühpensionierte Postbote hatte am Abend die A-Jugend des Handball-Oberligisten Schröttinghausen-Babenhausen trainiert, als er auf dem Heimweg an der Aral-Tankstelle in Werther stoppte, nur wenige hundert Meter von seiner Wohnung entfernt. »Ich betankte meinen Passat, als plötzlich ein Mann neben mir auftauchte. Er sah mich hasserfüllt an und sagte: Jetzt brennst du!« Dann zündete er sein Feuerzeug, und eine Flammenwolke schoss bis unter das Dach der Tankstelle. Der psychisch kranke Täter wurde kurz darauf gefasst und 2003 vom Landgericht Bielefeld in eine geschlossene Klinik eingewiesen
Vier Wochen lag Jürgen L. nach dem Angriff in einer Klinik für Traumaopfer. Die Augen des Frührentners waren verätzt worden, Haut und Nase reagieren bis heute allergisch auf Benzindämpfe, und das Gehör des jetzt 50-Jährigen ist nach dessen Angaben ebenfalls geschädigt: »Schon die Geräuschkulisse in einer Turnhalle macht mich wahnsinnig«, sagt L., der seinen ehrenamtlichen Trainerjob aufgegeben hat.
Vor dem Bielefelder Landgericht versuchte gestern Rechtsanwalt Peter Wüller, die Evangelische Stiftung Bielefeld-Ummeln als Trägerin der »Waldheimat« haftbar zu machen und 20 000 Euro Schmerzensgeld und Schadensersatz einzuklagen: »Der Patient hätte nicht frei herumlaufen dürfen. Er hatte bereits im Jahr 2000 in der Westfälischen Klinik Gütersloh versucht, eine Nachtwache zu erwürgen und einen Mitpatienten zu erstechen!« Die Anwältin der Stiftung hielt dagegen, es habe in den Monaten vor der Tat keine Hinweise auf eine Gefährlichkeit des Mannes gegeben. Der Angriff auf Jürgen L. sei »schicksalshaft« gewesen.
Dagegen erklärte das Opfer, ihm sei erst vor drei Wochen zugetragen worden, dass der Täter damals in der »Waldheimat« sehr wohl als gewalttätig bekannt gewesen sei. Beweisen kann Jürgen L. das allerdings nicht: Die Stiftung lehnt es ab, die Namen von Pflegekräften zu nennen, die den Patienten gekannt hatten und als Zeugen in Betracht kommen. »Wir stehen vor einer Mauer des Schweigens«, stellte Anwalt Wüller fest.
Der Richter schlug schließlich der Stiftung vor, sie solle ohne Anerkennung einer Rechtspflicht ein Schmerzensgeld zahlen: »Denn bei Ihnen ist nicht alles optimal gelaufen«, erklärte er. Auf dieses Angebot einer gütlichen Einigung wollte sich die Stiftung allerdings nicht spontan einlassen. Sie hat nun bis Mitte September Zeit, den Vorschlag zu prüfen.

Artikel vom 01.09.2005