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Regierung gibt Öl-Reserve frei

Kanzler kritisiert Konzerne - Preissteigerungen zunächst gestoppt

Berlin (dpa/Reuters). Der beabsichtigte Zugriff auf die internationalen Ölreserven hat die heftigen Preissteigerungen am Freitag zunächst gestoppt. Am europäischen Ölmarkt in Rotterdam gingen die Notierungen für eine Tonne Benzin von 870 auf 800 Dollar zurück. Die Benzinpreise in Deutschland gaben daraufhin nach.

Die USA hatten am Freitag bei der Internationalen Energie-Agentur (IEA) in Paris beantragt, die Ölreserven der Staatengemeinschaft anzuzapfen. Nach Wunsch der IEA sollten aus den Ölreserven innerhalb eines Monats 60 Millionen Barrel zur Verfügung gestellt werden, hieß es in Paris. Das entspreche zwei Millionen Barrel oder 258 000 Tonnen pro Tag.
Deutschland erklärte sich bereit, im Rahmen einer internationalen Hilfsaktion Teile seiner Ölreserven auf den Markt zu werfen. »Es ist für uns selbstverständlich, dass wir den amerikanischen Antrag unterstützen«, sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Er betonte, er gehe von weltweiter Zustimmung aus. Der deutsche Anteil soll sechs Prozent betragen.
Der Kanzler appellierte ausdrücklich an die Ölkonzerne, nach der international abgestimmten Maßnahme »auch wirklich« zu einer Senkung der Preise beizutragen. »Es kann ja nicht sein, dass die nationalen Erdölreserven international abgestimmt in den Markt gebracht werden, aber an der Preisfront nichts passiert.«
Der deutsche Marktführer Aral senkte am Abend die Preise für Normal- und Superbenzin um zwei Cent je Liter und korrigierte damit teilweise eine Preiserhöhung um sechs Cent wenige Stunden zuvor. Der Shell-Konzern erklärte, er werde sich den Marktbedingungen anpassen und seine Kraftstoffe zu wettbewerbsfähigen Preisen verkaufen. Unter dem Strich stieg der Preis für Superbenzin innerhalb einer Woche um 14 Cent je Liter.
Der US-Ölpreis gab am Freitag hingegen spürbar nach. Der Preis für Rohöl zur Oktoberauslieferung sank am Freitagnachmittag am New Yorker Warenterminmarkt Nymex auf 68,20 Dollar. Ein Barrel kostete damit 1,27 Dollar weniger als am Vorabend. Der Ölpreis hatte am Dienstag ein Rekordniveau von 70,90 Dollar erreicht. Auch Benzin und Heizöl verbilligten sich um mehr als zwei Prozent.
In der deutschen Mineralölwirtschaft stieß die Ankündigung, die Ölreserven anzapfen zu wollen, auf Skepsis. Es müsse zunächst geklärt werden, ob Schröder von Rohöl oder von Ölprodukten gesprochen habe, sagte ein Sprecher des Mineralölwirtschaftsverbandes (MWV). Rohöl sei ausreichend vorhanden und könne von den nach dem Hurrikan »Katrina« stillgelegten Raffinerien in den USA ohnehin nicht verarbeitet werden. Aus dem Wirtschaftsministerium hieß es, die geplante Menge könnte als Rohöl oder als Ölprodukte bereitgestellt werden. Die IEA empfehle vorrangig Produkte und hier vor allem Benzin.
Schröder stellte klar, dass der Schritt nichts zu tun habe mit den Forderungen aus der Union und FDP. Mehrere Oppositionspolitiker hatten sich dafür ausgesprochen, in einem nationalen Alleingang die Ölreserven anzuzapfen und so Verbraucher und Wirtschaft zu entlasten. Der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber warf der Bundesregierung vor, zu spät auf die rasante Ölpreis-Verteuerung der vergangenen Monaten reagiert zu haben. Er begrüßte jedoch die Ankündigung des Kanzlers, zur Stützung der Preise die strategischen Ölreserven zu reduzieren.
Durch die hohen Benzin- und Diesel-Preise fehlen den deutschen Autofahrern nach Angaben des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) allein in den ersten acht Monaten dieses Jahres vier Milliarden Euro. Dieses Geld gehe dem Konsum verloren, sagte VDA-Präsident Bernd Gottschalk.

Artikel vom 03.09.2005