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Der Zauber der Camargue
Tourismus und Landwirtschaft gefährden einzigartige Salzwiesenlandschaft
Generationen todesmutiger Männer stürzen sich in Spanien und Südfrankreich in Arenen und engen Straßen wütenden Stieren entgegen. Nicht immer ziehen die bis zu 600 Kilogramm schweren Tiere den Kürzeren - zuweilen müssen die Männer dran glauben.
Erfolgreiche Toreros haben den Status von Superstars. Und nun warnt mich der Jeepfahrer südlich von Arles: »Gehen Sie nicht so nahe ans Gatter, die Stiere sind gefährlich!« Was dann folgte, wird den Teilnehmern der Offroad-Safari durch die Camargue als Inbegriff wahren Heldentums in Erinnerung bleiben. Für ein gutes Bild der Stiere entsteige ich dem Jeep und will mich vorsichtig dem Zaun nähern - da nehmen die beiden Gehörnten panisch Reißaus und geben Fersengeld. Es vergeht eine weitere Stunde, bis ich endlich meine Stiere vor der Linse habe. In Sainte Maries de Mer donnern sie, eskortiert von wilden Reitern, mitten durch den Badeort am Mittelmeer. Das große Finale der »Feria des votives« endet mit diesem Paukenschlag. Vorher hatten sich in der Arena die Reiter mit den edlen weißen Rössern der Camargue präsentiert und das Publikum auch mit einem Wagenrennen in bester Ben-Hur-Tradition begeistert.
Die Camargue, dieses flache, salzige Land rund um den Etang de Vaccarès nahe Marseille und Arles, ist einer der schönsten Nationalparks Frankreich. Im Sommer glüht die Sonne auf das niemals ausgedörrte Land, welches durch ein feingliedriges Kanalsystem mit Rhone-Wasser stets feucht gehalten wird. Im Winter, wenn Dunstschwaden in der kühlen Luft hängen und der Wasserstand steigt, dann kommen Reiher und Flamingos ganz nahe ans Ufer, damit sie überhaupt noch im Wasser stehen können. Millionen von Zugvögeln aus Nordeuropa überwintern dann dort und machen die Region zu einem Eldorado für Ornithologen.
Die Jeep-Safari durch die Camargue ist besser als jede individuelle Pkw-Tour, denn sie führt auf buckligen Wegen, die für den öffentlichen Verkehr gesperrt sind, direkt ins Herz des weiten Landes. Natürlich gibt's auch den obligatorischen Stopp beim Feinkosthändler, der mit Tapenade, Confit du Canard, Stierwurst und Muscadet den Gaumen zu kitzeln vermag. Auch Radtouren und Ausritte sind möglich, aber wegen der Mückenplage nur bedingt zu empfehlen. Im Sommer steigen die Temperaturen auch bis nahe an die 40-Grad-Marke. Dann flirrt die Luft über den Reisfeldern und Salzwiesen, und selbst die Störche stehen apathisch auf ihren Nestern.
Doch das Reservat ist in seiner Existenz bedroht: Landwirtschaft, Salzindustrie und nicht zuletzt der exzessive Tourismus stören das labile geo-ökologische Gleichgewicht des Sumpfgebietes, verwandeln es in eine Wüste und verdrängen Flora und Fauna. Um das von den Armen der Rhône zerfurchte Schwemmland in seiner Einzigartigkeit zu erhalten, gründete die Französische Regierung schon 1970 den Parque Naturel Régional de Camargue.
Der Naturpark umfasst das Delta der Rhône zwischen ihren beiden Armen: Maries-de-la-Mer mit 38 000 Hektar und einen Teil der Kommune Arles mit 47 000 Hektar. Mit dem Park versucht man, einen Kompromiss zwischen den Bedürfnissen der Natur und denen des Menschen zu finden. Sensibilität und Rücksichtnahme sind deshalb vom Besucher gefordert.
Thomas Albertsen

Artikel vom 03.09.2005