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Nationale Ölreserve anzapfen

Vorstoß von Union und FDP - Bundesregierung lehnt ab: kein Notstand

Berlin (dpa/Reuters). Angesichts rasant steigender Benzinpreise haben sich die Spitzen von Union und FDP dafür ausgesprochen, Teile der nationalen Ölreserve anzuzapfen. »Das sollte auch in Deutschland kein Tabu sein«, sagte Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel (CDU) gestern in Berlin unter Hinweis auf entsprechende Maßnahmen in den USA.
Aus Sicht von FDP-Chef Guido Westerwelle wäre der Einsatz der strategischen Ölreserve eine »kluge und sinnvolle Möglichkeit«, um die Bürger »ein Stückchen« zu entlasten. Die Mineralölwirtschaft lehnte den Vorstoß ebenso ab wie die Bundesregierung. Es herrsche in Deutschland kein Notstand, es gebe allenfalls ein Preisproblem.
Die lippische FDP-Bundestagsabgeordnete Gudrun Kopp wies darauf hin, dass nur bei einem Notstand wie derzeit in USA die nationale Ölreserve angezapft werden dürfe, nicht jedoch zur Preissenkung. Hier seien internationale Verträge einzuhalten. Sie kritisierte zugleich die rot-grüne Energiepolitik, die etwa durch die Windkraftförderung oder die Ökosteuer Energie verteuert habe.
Die im Erdölbevorratungsverband (EBV) organisierten deutschen Mineralölfirmen sind gesetzlich verpflichtet, Ölvorräte für eine Verbrauchsdauer von 90 Tagen vorzuhalten. Derzeit beläuft sich die Menge auf etwa 23 Millionen Tonnen Rohöl und Ölprodukte.
Die Mineralölwirtschaft hält nichts davon, den Ölvorrat auf den Markt zu werfen. »Die Ölreserven in der OECD wurden aufgebaut, um einer möglichen Störung bei der Versorgung mit Rohöl zu begegnen«, sagte Birgit Layes vom Mineralölwirtschaftsverband.
Der Wirtschaftsminister könne die Reserve nur freigeben, wenn sieben Prozent Ausfall bei der Rohölversorgung zu befürchten seien. Davon könne aber keine Rede sein. Das Problem seien nicht fehlende Mengen, sondern hohe Preise. Die gegenwärtig völlig überzogenen Rohölpreise seien aber wesentlich auf die Einflüsse der Finanzmärkte zurückzuführen, nicht auf Knappheit beim Rohöl. »Dass Deutschland die abgehobenen Preise korrigieren kann, ist völlig illusorisch.«. Im Wirtschaftsministerium hieß es, die Bundesregierung plane nicht, die Reserven frei zu geben. »Es liegt keine Versorgungsstörung vor.«
Trotz der Rekord-Benzinpreise will die Union im Falle eines Wahlsieges die Ökosteuer nicht senken. Wegen der »rot-grünen Misswirtschaft« gebe es kurzfristi
keinen Spielraum für eine Reduzierung der Ökosteuer, sagte die Umweltexpertin im Wahlkampfteam der Union, Gerda Hasselfeldt.
Die Union will nach Worten von CSU-Chef Edmund Stoiber die höheren Mehrwertsteuer-Einnahmen des Staates auf Grund der gestiegenen Benzinpreise an die Autofahrer zurückgeben. »Die zusätzliche Mehrwertsteuer, die dadurch entsteht, dass der Ölpreis explodiert, die müssen wir für die Absenkung des Benzinpreises einsetzen«, sagte er. Darüber habe er auch mit Kanzlerkandidatin Angela Merkel gesprochen. Details wollte er noch nicht nennen.
Die Benzinpreise könnten auch Thema der kommenden Lohnrunde sein. DGB-Tarifexperte Reinhard Dombre erklärte gestern: »Die Inflationsrate wird eine Rolle spielen, und der Benzinpreis ist ein Teil davon.« Er schränkte ein, dass die Gewerkschaften ihre Lohnforderungen nicht allein am Benzinpreis ausrichten.

Artikel vom 02.09.2005