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Iran und Balkan zu ernst für Streit

Mitten im Wahlkampf Einsatz im Kosovo - Jürgen Herrmann im Gespräch

Bielefeld (WB). Heute werden 2000 Soldaten aus Augustdorf zu Friedenseinsätzen verabschiedet. Die Mehrheit geht ins Kosovo: CDU-Verteidigungsexperte Jürgen Herrmann (Brakel, Kreis Höxter) hat sich dort umgesehen: Ein Interview von Reinhard Brockmann.
Jürgen Herrmann: Sicherheit unserer Soldaten geht vor

Kanzler Schröder hatte zwischenzeitig den Iran als »Wahlkampfknüller« entdeckt, warum sagt er nichts zum Balkan? Herrmann: Unverantwortlich. Mit dem heiklen Thema Iran darf kein Wahlkampf gemacht werden! Ein deutscher Alleingang würde die Türen zuschlagen. Es herrscht ja Einigkeit darüber, dass Frankreich, Großbritannien und Deutschland für Europa verhandeln. Auch war er sich bei seinem letzten USA-Besuch mit Präsident George Bush einig, dass zunächst diplomatische Schritte unternommen werden, bevor es zu militärischen Schritten kommen könnte.

Ist das Kosovo nach dem Aufstand im März 2004 sicherer geworden ist? Herrmann: Nach den Märzunruhen 2004 hat sich das Leben im Kosovo, nachdem KFOR und UNMIK konsequent durchgegriffen hatten, wieder stabilisiert.

Sie waren dort: Was haben Sie erfahren? Herrmann: Die Lage ist ruhig, aber immer noch nicht stabil. Dies deutet darauf hin, dass immer noch erhöhte Bereitschaft angeordnet ist, da weiter mit dem Aufflammen neuer Gewalt gerechnet werden muss. Dies gilt insbesondere unter dem Aspekt, dass der zu erwartende »Eide-Bericht« verbindliche Antworten zur Klärung der Statusfrage des Kosovo geben wird. Sollte hier die Entscheidung fallen, dass weiter vorrangig auf die Erfüllung der Standards gepocht wird, dürfte es zu neuen Unruhen kommen.

Was sagt Ihnen ihre Erfahrung als Politiker und Polizist? Herrmann: Ich persönlich gehe jedoch davon aus, dass der Bericht dies nicht in den Vordergrund stellen wird, sondern darauf abzielen wird, die Statusfrage in einer überschaubaren Zeit zu beantworten. Hierdurch werden der Bevölkerung neue Perspektiven aufgezeigt, die weiter zur Stabilisierung beitragen werden. Ich habe die Lage beim jetzigen Truppenbesuch in Prizren deutlich »entspannter« vorgefunden als unmittelbar nach den Unruhen 2004.

Mit dem Eingreifen im Kosovo konnte die ethnische Säuberung vor fünf Jahren gestoppt werden, dennoch geht die ethnische Trennung weiter. Zum Verzweifeln? Herrmann: Der Schlüssel für ein friedliches Miteinander im Kosovo ist die Integration der Minderheiten. Dies wird über viele Projekte gewährleistet. In der offenen Jugendarbeit sind viele Erfolge zu sehen. Aber es ist zum Teil auch ein Generationenproblem. Viele ältere Menschen sind nicht bereit, Frieden zu schließen. Der Prozess der Integration wird sich somit noch lange hinziehen. Aus meiner Sicht müssen auch Projekte der Wiederbesiedlung von Enklaven auf den Prüfstein, da es für mich keinen Sinn macht, ein Dorf mit z.B. 20 Serben, ständig von vielen Soldaten schützen zu lassen, damit deren Häuser nicht beschädigt werden oder sie um ihr Leben bangen müssen! Dass es auch anders geht, zeigen Beispiele in vielen Städten, wo Serben und Albaner friedlich in einem Haus zusammen wohnen, ohne dass es Auseinandersetzungen gibt!

Wie lange werden deutsche Soldaten noch auf dem Balkan, in Bosnien, Mazedonien und Kosovo benötigt? Herrmann: Diese Frage kann für den Kosovo zurzeit niemand beantworten. Dies ist sicherlich ganz stark vom kommenden »Eide-Bericht« abhängig und der sich daraus resultierenden Stausfrage. Ich erinnere daran, dass eine Truppenreduzierung bereits für das Jahr 2004 vorgesehen war. Nach den Unruhen wurden die deutschen Truppen wieder auf circa 2600 aufgestockt.

Artikel vom 02.09.2005